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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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trotz Beleuchtung schwerfiel, Einzelheiten wie Waschbecken und Dusche auszumachen. Vergleichbar einem monochromen Gemälde, dessen angebliche und angeblich vielfältige Oberflächenstruktur mehr der Beschreibung eines Kunstpädagogen zu verdanken ist, als daß sie dem Eindruck des unbedarften Betrachters entspricht. Welcher blind bleibt, aber nicht unbelehrt.
    Immerhin schien auch dieses Badezimmer nichts zu verbergen, was man durch ein Abschließen der Türe hätte bewahren müssen. Überhaupt fiel auf, wie gering Soluschkas Appartement gesichert war. Die Wohnungstüre besaß ein völlig durchschnittliches Schloß. Nirgends ergab sich ein offenkundiger Hinweis auf eine Alarmanlage oder Videoüberwachung, wie dies bei meiner eigenen Wohnung durchaus der Fall war. Schließlich lebte man hier in einer der besten Gegenden Kopenhagens, also in einem Viertel, in dem sich Einbrüche lohnten und folglich Schutzbedürfnis und Paranoia gesteigert ausfielen.
    Doch Sam Soluschka präsentierte an diesem Ort das Bild eines legeren Menschen, der sich wenig darum scherte, ob jemand in seine Wohnung dringen konnte, um etwa die, wenngleich nachlässig an die Wand gehefteten, nichtsdestotrotz ziemlich wertvollen originalen Beuyszeichnungen mitgehen zu lassen. Oder, wenn denn Kunst kein Thema war, sich um eine Stereoanlage der Firma The Cat Of Steven zu kümmern. Die Gelassenheit, die Überheblichkeit dieses Mannes in materiellen Dingen war offenkundig.
    War sie das wirklich? Denn aus welchem Grund hatte er die letzte der drei Türen versperrt. Sowie mit einem Schloß ausgestattet, das sich bei eingehender Betrachtung von den anderen unterschied, spezieller zu sein schien, raffinierter.
    Nun, im Knacken von Schlössern lag meine Begabung sicher nicht. So wenig wie im Eintreten einer Türe, die des dicken Glassteins wegen äußerst massiv anmutete. Zudem war schon viel zuviel Zeit vergangen, um sich weitere Gedanken zu machen. Ich überblickte die Wohnung, um mich zu vergewissern, nichts zurückgelassen oder verstellt zu haben. Sodann trat ich auf den Gang, schloß ab, indem ich den Schlüssel einmal im Schloß drehte, und brachte ihn hinunter an die rückwärtige Stelle, an der er gelegen hatte, bemüht, die richtige Position zu treffen. Obwohl ich nicht eigentlich glaubte, daß dies von Bedeutung war. Andererseits bewies der Umstand eines versperrten Zimmers, daß Sam Soluschka so ganz unvorsichtig nicht sein konnte. Daß er wußte, wann und wo er achtzugeben hatte.
    Fragte sich nur, zu welchem Zweck? Wieso diese eine Sorgsamkeit? Ich meine, wenn man die Beuysblätter bedachte, welche ohne Glas und ohne Rahmen von der Mauer hingen wie von einer Pinnwand. Was konnte einen solchen Wert besitzen, daß jemand wie Sam Soluschka es in einem Zimmer versteckte? Wenn nicht Beuys.
    Faktum blieb, daß, auch wenn Sam dank seiner Lauferei mir die Möglichkeit bot, mich beinahe täglich in seine Wohnung einzuschleichen, ich nie in der Lage sein würde, ein solches Schloß und eine solche Türe aufzubrechen. Weder auf die heimliche noch auf die augenscheinliche Weise. Ich mochte ungeschickt sein, aber nicht dämlich. Jedem sein Geschäft. Und weil besagte Türe auch bei meinen folgenden Besuchen ein jedes Mal abgesperrt war, kam ich auf die Idee, jemand zu engagieren, der fähig wäre, zu öffnen, was nun mal in Herrgottsnamen geöffnet werden mußte.
    Ich dachte an einen Mann, der mir im Haus einer Freundin über den Weg gelaufen war. Er hatte ihr eine Zeitlang als Leibwächter gedient, um einen verrückten Verehrer auf Distanz zu halten. Später, nachdem der Liebhaber sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte, erfolgreich aufgeschnitten, kehrte der Leibwächter in seine norwegische Heimat zurück. Um was auch immer zu tun.
    Viel war es nicht gerade, was ich von diesem Mann wußte. Aber ich hatte ihn gut in Erinnerung. Massig, kompakt, versiert. Zudem sprach er ein perfektes Deutsch. Das ist mir noch immer die liebste Sprache, nicht zuletzt wegen der Möglichkeit, sich zwischen einem »Sie« und einem »Du« auch wirklich entscheiden zu können.
    Dieser deutschsprachige Norweger war es also, der mir in den Sinn kam. Ich eruierte seine Telefonnummer und rief ihn an. Er wußte sofort, wer ich war. Freute sich, von mir zu hören. Wie gesagt, ich bin keine Unbekannte. Erst recht nicht in Norwegen, deren literarischer Gemeinde ich einen Stempel aufgedrückt habe, in dem ein wenig Farbe steckt. Und auch Leute interessiert – der Stempel interessiert sie

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