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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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verfügten, auf ein Objekt stießen, von dem sie hundertprozentig wußten, daß es nicht nur zu ihnen paßte, wie Frisuren und Brillen und Haustiere und eine bestimmte Farbe zu einem passen, sondern sie zu diesem Gebäude gefunden hatten wie zu einem fehlenden Glied ihrer selbst. Das Haus machte sie nicht nur glücklich, sondern verlieh ihnen die Anmut der Vollständigkeit. Als sei ein gespendetes Organ nachgewachsen oder ein geliebter Verstorbener zurückgekehrt, oder als habe sich ein amnestischer Zustand verflüchtigt.
    Derartiges zu fördern, war nun sicher nicht die Aufgabe Clemens Armbrusters. Aber in Frau Geminis Fall entschloß er sich, ein wenig auf die Bremse zu steigen. Was ja nicht bedeuten würde, ihr ein Geschenk zu machen oder etwa günstige Konditionen zu formulieren. Gott behüte.
    Er rief sie also an und erklärte sich bereit, einen Verkauf unter den aktuellen Verhältnissen in Erwägung zu ziehen. Dieses ganze bürgerliche Dornröschenschloß, das wahrscheinlich den Spuk defekter Wasserrohre und einer grenzwertigen Elektrik barg, als ein Paket, gewissermaßen ein Überraschungspaket zum Kauf anzubieten.
    »Wie?« staunte Anna. »Soll das heißen, ich darf es mir nicht ansehen, bevor ich es kaufe?«
    »Ich dachte, Sie wüßten ganz sicher, daß das Ihr Haus ist«, erklärte Armbruster, um gleich darauf zu betonen, einen Scherz gemacht zu haben.
    »Lustig«, sagte Anna und vereinbarte einen Termin.
    Der Zustand des Hauses war aus nächster Nähe betrachtet lange nicht so schlimm wie erwartet. Der Verfall erwies sich als oberflächlich, soweit man das beurteilen konnte. Keine Feuchtigkeit, kein aufgesprungenes Parkett, kein Mauerwerk, durch das man den bloßen Finger hätte bohren können. Keine herausgerissenen Geräte oder offenen Leitungen. Kein perforiertes Dach, keine Mäuseplage. Bloß ein wenig Kot von einem größeren Tier. Die Heizkörper stammten aus den Achtzigern, und die vielen Fensterscheiben waren nicht blind, sondern einfach dreckig. Der Rückzug aus diesem Haus mußte ein geordneter gewesen sein. Der Staub stammte von den sechs, sieben Jahren, die seither vergangen waren. Die Räume, in denen kein einziges Möbel stand, atmeten einen gewissen Zauberberg-Charme. Kränklich, aber elegant. Verrückt, aber gebildet. Mehrsprachig und schwermütig. Also typisch lungenkrank.
    Der Makler selbst war erstaunt ob des guten Zustands der Innenräume.
    »Waren Sie denn niemals hier?« fragte Anna.
    »Ich hatte es sehr viel schlechter in Erinnerung. Außerdem stand damals ein Erhalt des Gebäudes nicht zur Diskussion. Bei einem Haus, das niedergerissen werden soll, ist es einerlei, wie gut oder schlecht seine Substanz ist. Wenn wir nicht gerade von einem Bunker oder Hochhaus sprechen.«
    »Wollen Sie es immer noch an mich verkaufen?«
    »Nun, meine Mitarbeiter würden mir wohl raten, es erst einmal renovieren und auf den neuesten Stand der Wohnkultur bringen zu lassen. Wenn denn schon auf einen Abriß verzichtet wird.«
    »Designerküche und Whirlpool?«
    »Ich bin kein Prolet, Frau Gemini. Ich sehe durchaus, wie sehr diese Räume einer gewissen Zurückhaltung bedürfen. Daß die Jugendstilfliesen im Bad keinen flippigen Kunststoffboden vertragen, und die Küche keinen Herd, der an einen Großrechner erinnert.«
    »Schön, daß Sie das begreifen. Dann muß ich mir also keine Sorgen machen, das Haus nicht wiederzuerkennen, wenn ich in ein paar Jahren zufälligerweise daran vorbeispaziere.«
    »Geben Sie immer so schnell auf?«
    »Ich gebe nicht auf«, erklärte Anna in einem Tonfall von hartem Brot.
    »Ausgezeichnet«, sagte der gute Mann aus Nottingham.
    »Etwas in mir sträubt sich nämlich, eine Renovierung selbst vorzunehmen. Das wäre eine kostspielige, aufwendige Angelegenheit, viel kostspieliger und aufwendiger, als irgendeinen besseren oder schlechteren Kasten hochzuziehen. Wogegen leider der Ensembleschutz spricht. Es gibt da einen Beamten, der sich in der lästigsten Weise querstellt. Der Mann ist ein Fanatiker, und wie alle Fanatiker unbestechlich. Ich frage mich, warum ich mich weiter mit diesem Haus herumärgern soll? Wenn ich es recht bedenke, wäre es vielleicht besser, wenn Sie, Frau Gemini, sich damit herumärgern.«
    »Das glaube ich auch. Und was würde mich das kosten, mich ärgern zu dürfen?«
    Clemens Armbruster nannte ihr eine Summe, so wie man jemand eine Pistole in die Hand drückt und ihm empfiehlt, Selbstmord zu begehen.
    Das war nun ein Betrag, den Anna eigentlich nur aus

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