Ein dickes Fell
der Ferne betrachten konnte, wollte sie ihn überblicken. Nicht, daß sie hörbar schluckte, aber ein kurzes Schweigen ließ sich nicht vermeiden, um eben jene Distanz herzustellen, von der aus man eine solche Zahl als Ganzes wahrnehmen und begreifen konnte.
»Das ist viel Geld«, sagte Anna, um eine Stimme bemüht, die nicht vollkommen unterging.
»Darunter ist nichts zu machen. Das ist eine gute Gegend, nicht die allererste, aber gut genug, um einen solchen Preis zu rechtfertigen. Der Zustand des Hauses spielt dabei keine Rolle. Das Haus ist nicht das Thema.«
»Mein Thema schon.«
»Tja, Sie kennen jetzt den Betrag, um den es geht, um den es gehen muß. – Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
»Bitte!« sagte Anna, wie man sagt: Stirb!
»Auf wieviel würde sich Ihr Eigenkapital belaufen? Ich frage nur, weil ich Ihnen Vorschläge zu diversen Finanzierungsmodellen machen könnte.«
»Wieso wollen Sie das tun?«
Der Makler vollzog jetzt einen für seine Verhältnisse geradezu verträumten Blick und gestand, daß ihm der Gedanke lieb wäre, dieses Haus tatsächlich an Anna Gemini zu verkaufen. Selbstverständlich verfüge er über gute Bankkontakte und entwerfe zuweilen für seine Klienten Beschaffungskonzepte. Darum die Frage nach dem Eigenkapital. Eine nicht ganz unwesentliche.
Anna lächelte wie jemand mit einem Patzen Geld, dem es aber schwerfällt, Zahlen zu nennen. Faktum war jedoch, daß sie ein solches Geld nicht besaß. Faktum war auch, daß sich ihre Überzeugung, dieses Haus sei ihr Haus, in einer derartigen Weise verselbständigt hatte, daß der Umstand ihrer fehlenden Mittel schlichtweg zur Seite gerückt worden war. Gleich einem häßlichen Möbel. Nur war das halt das einzige Möbel, über das sie verfügte. Ihre durchschnittliche Kreditunwürdigkeit.
Worauf hatte sie eigentlich gehofft? Auf ein Wunder? Allein des Gespürs wegen, den einzig richtigen Ort für sich und ihren Sohn gefunden zu haben. Natürlich, sie hatte Gebete gesprochen. Aber abgesehen von dem Wunsch, dieses Haus zu besitzen und renovieren zu wollen, war ihr Gebet ja in höchstem Maß vage geblieben. Worum hätte sie auch bitten sollen? Denn so blöde war sie nun wirklich nicht, Gott um etwas derart Absurdes wie einen Lottogewinn oder eine überraschende Erbschaft zu ersuchen. Also um Dinge, die in der Zeit festgeschrieben waren und die zwingend geschahen oder zwingend nicht geschahen, und die dem einzelnen, wenn er denn auserwählt war, wie ein passender Zahnersatz ins Maul flogen. Zahnprothesen, die seit Anbeginn der Geschichte bestanden. Und die natürlich auch ein Gott nicht auswechseln konnte. Was wiederum ein Glück war. Man stelle sich vor.
Anna Gemini wußte nicht, was sie sagen sollte. Die Wahrheit war ihr ein solches Greuel, daß sie auch jetzt noch ihre Schwindelei aufrechterhielt, eine Schwindelei, die sie ja gar nicht so sehr gewollt oder konstruiert hatte, sondern die gewissermaßen im Zuge einer Austrocknung übriggeblieben war. Mit einem Mal aber war Anna entschlossen, auf Basis einer solchen Täuschung die Sache voranzutreiben. Sie erklärte, daß es ihr zum gegenwärtigen Zeitpunkt widerstreben würde, Aussagen bezüglich ihrer Finanzen zu machen. Nicht bevor sie sich endgültig entschlossen habe, dieses Haus zu erwerben. Dann könne man darüber reden.
»Sie haben wirklich noch einen Zweifel?« wunderte sich der Makler.
»Vielleicht zweifle ich am Preis.«
Da war es wieder, dachte sich Armbruster, dieses Mißtrauen, dieser fortwährende Verdacht der Leute, von Maklern betrogen zu werden. Natürlich war der Preis hoch. Aber bestand denn darin nicht der ganze Sinn eines Geschäfts, einen bestmöglichen Preis zu erzielen. Bestand denn nicht etwa der Antrieb eines Schriftstellers in dem Plan, statt einem halben Buch ein ganzes zu schreiben, der Ehrgeiz eines Chirurgen, einen Patienten am Leben zu erhalten, anstatt ihn sterben zu lassen. Ein Haus zu verkaufen, konnte also beim besten Willen nicht heißen, seinen Wert um zwanzig Prozent herunterzusetzen, wenn man mit zwanzig Prozent in die Höhe gehen konnte.
»Der Preis steht«, verkündete Armbruster mit leisem Ärger.
»Ich habe verstanden«, sagte Anna. Und: »Lassen Sie mir ein paar Tage Zeit. Ich muß mir das alles überlegen. Ich wäre Ihnen dankbar, bis dahin nichts zu unternehmen. Wenn Sie so nett sein könnten.«
»So nett bin ich. Ich erwarte Ihren Anruf.«
Am nächsten Tag meldete sich Anna bei Kurt Smolek und vereinbarte ein Treffen in einem
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