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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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können. Die Schwierigkeit ergab sich paradoxerweise aus dem Umstand, daß dieser Mann blind war für das eigentliche Ereignis, für die Waffe und was sie für ihn bedeutete. Er sah nur die Frau und erkannte allein die scheinbare Realisation einer seiner typischen Phantasien. Es törnte ihn mächtig an, nicht einmal ihren Namen zu kennen und ihn auch niemals kennenlernen zu wollen. Sich bloß mit ihrem Körper zu arrangieren.
    Nun, das mit dem Namen ging in Erfüllung. Er würde ihn nicht erfahren. Nicht in diesem Leben. Der Schuß ging los, und das Projektil drang durch seinen Anzug, seine Haut und seinen Brustkorb in sein Herz und machte augenblicklich einen toten Menschen aus ihm. Es ging so schnell, daß in seinem Hirn noch eine kurze Weile – so wie ein Barthaar weiterwächst – der ängstliche Gedanke an eine frühzeitige Ejakulation bestand. Ein paar Sekunden lang überlebte der Gedanke den Denkenden.
    Bezüglich der Gedanken Anna Geminis wäre zu sagen, daß sie keinen Moment über die Person nachsann, die sie da tötete. Auch, weil sie viel zu sehr mit der konkreten Handlung, der komplizierten Umsetzung beschäftigt war. Der Mann selbst war ihr bei alldem wie ein Schauspieler vorgekommen, der sich dumm anstellt, dabei völlig vergißt, umgebracht zu werden, und also nur noch mit Begeisterung den Liebhaber mimt.
    Nachdem das Opfer nun reglos auf dem Boden lag, steckte Anna die Waffe zurück in ihre Tasche und ging, ohne eine weitere Vorsorge zu treffen, wieder in das Restaurant, wo Carl an einem Tisch wartete. Es war durchaus möglich, ihn kurz alleine zu lassen oder jemand zu bitten, ihn für einen Moment zu unterhalten. Er ließ sich gerne unterhalten. Ein paar Minuten lang. Dann aber konnte er unruhig werden, sehr unruhig. Und es gab viele gute Gründe, dies zu vermeiden.
    Diesmal aber war es ein Fisch gewesen, der ihn amüsiert hatte. Carl war die ganze Zeit über damit beschäftigt gewesen, die bestellte Forelle genauest zu untersuchen und mit Hilfe der Gabel das weiche, weiße Fleisch in kleine Streusel aufzuspalten. Die Speise auf seinem Teller machte den Eindruck einer hügeligen Kokostorte.
    Anna wiederum verbat sich jegliche Hektik. Sie kam also nicht etwa auf die Idee, so rasch als möglich das Lokal zu verlassen und Carl von seinem Fisch wegzuzerren wie damals von seinem Baum. Niemals wieder sollte so etwas geschehen.
    Natürlich erwuchs ein gewisses Risiko aus der Möglichkeit, daß man demnächst die Leiche entdeckte. Ein Risiko jedoch, das Anna Gemini nicht schreckte. Sie war jetzt ungemein kalt, davon überzeugt, einer möglichen Kontrolle ihrer Person mit Leichtigkeit zu entgehen. Was sich als unnötig erweisen sollte, da man das Verschwinden jenes wohlbekannten Gastes mit einem wichtigen Termin in Verbindung brachte und auch nicht etwa wegen einer unbezahlten Rechnung nervös wurde. Nervös wurde man erst, als eine Putzfrau sehr viel später auf den zu Ende gelebten Körper stieß.
    Übrigens erinnerten sich sämtliche der Kellner an Anna Gemini und ihren Sohn, der da einen Fisch zerstückelt und zerquetscht und zwischen den Zinken seiner Gabel hindurchgedrückt hatte, ohne auch nur einen einzigen Bissen zu sich zu nehmen und ohne dafür von seiner Mutter gescholten worden zu sein. Sie erinnerten sich, die Kellner, das schon, erwähnten die Frau, den Jungen und den Fisch aber mit keinem Wort. Weder der Polizei noch der Presse gegenüber. Warum auch hätten sie das tun sollen? Und so würde es in Zukunft immer sein.
    Die Ermordung des Geschäftsmannes, von den Medien als »Hinrichtung« tituliert, wurde von allen Seiten als das begriffen, als was es begriffen werden sollte, als Racheakt einer jener mafiosen Vereinigungen, mit denen sich das Opfer eingelassen hatte. Ein anderer Verdacht ergab sich nicht, obgleich die Polizei natürlich alle Möglichkeiten durchspielte. Eine Art Unterwelt-Mord war nun mal die einzige Option, die sich aufrechterhalten ließ. Zu perfekt, zu kaltblütig war die Liquidierung erfolgt. Somit erwies sich einmal mehr, daß immer stärker italienische und russische Verhältnisse in Österreich Einzug hielten und man also mit gutem Grund an eine Verstärkung der Prophylaxe zu denken hatte.
    Soweit das Offizielle. Hinter diesen Kulissen aber lächelte eine trauernde Witwe, deren neugewonnenes Glück nur darum bestehen konnte, weil auch das Glück einer anderen Frau gewährleistet war. Anna Geminis Glück. Dank des Verkaufs eines Aktienpakets, das ursprünglich aus dem

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