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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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durchtriebener Laborantin und der bereits erwähnten Touren-Skifahrerin Leni Riefenstahl, deren Name allein Beweis wäre dafür, daß die Wirklichkeit eine Persiflage auf etwas sein muß, das wir nicht kennen.
    Lilith … und wie weiter? Ebenfalls Smolek? Cheng wußte es nicht. Allerdings war er sich trotz einiger Entfernung sicher, daß sie es war, die hier mit ein paar Leuten vor einem Schaukasten stand und sich unterhielt. Nun gut, immerhin hatte Cheng ja erwartet, daß diese Frau an diesem Abend auftauchen würde.
    Cheng blickte zur Seite, in die Richtung, in die sich Straka entfernt hatte. Er wollte den Polizisten zurückrufen, jetzt keinen Fehler mehr machen. Straka die Möglichkeit geben, eine Entscheidung zu treffen, die auch darin bestehen konnte, die Schwester Smoleks augenblicklich festzunehmen. Damit dann wenigstens eine Person »angebunden« war.
    »He!« rief Cheng seinem liebsten aller Polizisten nach.
    Aber Straka hörte nicht, war bereits zu weit entfernt, auch zu sehr damit beschäftigt, per Funk Anweisungen zu geben.
    Cheng sah wieder hinüber zu der Frau, die Lilith war. Ihre Blicke trafen sich. Die alte Dame nickte freundlich, sie wußte wohl, wer Cheng war und welche Rolle er spielte. Natürlich, ihr Bruder mußte ihr berichtet haben.
    Sie drückte nun einem der Umstehenden ihr Sektglas in die Hand, dankte der Gesprächsrunde und entfernte sich. Nicht hektisch, aber doch rasch genug, daß Markus Cheng sie wohl verloren hätte, hätte er zuerst Straka geholt. Das war ganz typisch. Typisch dafür, daß Cheng einfach keine Chance bekam, seinem Oberstleutnant ein Geschenk zu machen. Vielmehr mußte er sich beeilen, hinter der alten Dame herzukommen. Sie stieg hinauf ins zweite Stockwerk, wo kaum jemand sich aufhielt. Cheng konnte gerade noch erkennen, wie Smoleks Schwester flink zwischen zwei Regalreihen verschwand. Er folgte ihr dorthin, fand sie aber nicht. Statt dessen registrierte er aus dem Augenwinkel heraus ein Buch, das in der Lücke eines Fachs lag. Mehr hingeworfen als abgelegt, so als gehöre es nicht an diesen Platz.
    Doch es war etwas anderes, das Cheng irritierte. Nämlich der Umstand, daß dieses Büchlein seinen Namen zu tragen schien. Seinen Namen als grellfarbenen Titel. CHENG. Mehr war nicht zu erkennen gewesen. Schließlich hatte er weder richtig hingesehen noch seinen Schritt unterbrochen. Und hatte auch gar nicht vor, zu dem Buch zurückzukehren, um einen Irrtum aufzuklären. Oder schlimmer noch, keinen Irrtum aufzuklären. Ihn bestürzte die Vorstellung, jenes schmale, rote Bändchen könnte tatsächlich seinen Namen anführen. Wer mochte schon wie ein Buch heißen? Wer mochte schon ein Mann ohne Eigenschaften sein? Oder eine Frau von dreißig Jahren?
    Cheng schloß für einen Moment die Augen. Wie um das Unheimliche einer solchen Begegnung – einer Begegnung mit einem Buch, das wie man selbst hieß – auszugleichen, tat er jetzt etwas, was er sehr selten tat. Er holte eine Pistole aus der Innentasche seines Jacketts, eine kleine, flache, leichte Waffe, die sich nicht störender auswirkte als eine normale Geldbörse. Oder eine Packung Taschentücher. Und mehr als das sollte eine Waffe einen Mann und seinen Anzug nun wirklich nicht beeinträchtigen.
     
    Cheng vermied es, die Waffe hochzuhalten. Schließlich wollte er niemand damit erschrecken, sondern sich selbst schützen. Also richtete er den Lauf abwärts. Gleichzeitig bog er um die Ecke … und jetzt sah er sie. Sah sie von hinten, wie sie gerade irgendein Ding, wohl einen Chip, an ein Kästchen hielt. Dann öffnete sie eine Türe und marschierte in den als Nottreppe ausgewiesenen Gebäudeteil. Mit der leichtfüßigen Rasanz eines Luftgeistes verschwand sie nach oben.
    Auch Cheng beeilte sich. Er erreichte die Türe gerade noch, bevor sie wieder zufiel, und begab sich auf den Stufengang. In dem erstaunlicherweise auch das gerahmte Foto des Bundespräsidenten hing, freilich nicht mehr jenes des zuvor erwähnten Rudolf Kirchschläger, welches Strakas Büro zierte, sondern das des aktuellen Staatsoberhauptes, eines Mannes, von dem man sagen konnte, daß er nicht einmal mehr aus seinem Namen bestand. Er bestand aus rein gar nichts. Er war nur noch ein Foto an der Wand.
    Cheng gab Tempo, stieg nach oben, wo er hinaus auf die größtenteils freiliegende, schneeverwehte Fläche trat, welche das begehbare Dach der Bibliothek bildete. Der Bereich war zur Freitreppe hin abgesperrt worden, doch Cheng befand sich am anderen Ende,

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