Ein dickes Fell
gewandt, er solle gut auf das Haus aufpassen.
Das war natürlich zynisch gemeint. Aber Janota unterbrach sein Spiel und versicherte mit einer drolligen Ernsthaftigkeit, auf alles, die Kinder wie das Haus, achtgeben zu wollen. Für das Abendessen sei gesorgt, das Huhn im Ofen.
»Das Musikgenie als Hausmann«, kommentierte Anna.
»Warum auch nicht«, sagte Cheng, hob einen offensichtlich bereitgelegten hellgelben Damenmantel vom Stuhl und reichte ihn Anna. Sie nahm das blasse, dünne Mäntelchen und schlüpfte hinein wie in die Haut einer Fee. Sodann wechselten die beiden hinaus in den Dobrowsky-Flur, wo Cheng wieder seine ledernen Halbschuhe anzog, welche, sobald man nach draußen trat, an einen Snob am Südpol erinnerten, die Schuhe. An so einen Kerl mit Schnupftuch und dünnem Blazer, der behauptet, niemals zu frieren.
Auf dem Weg durch den Garten sagte Anna. »Janota will nicht mich heiraten, sondern das Haus. Der Typ ist auf Häuser fixiert.«
»Er mag Ihren Sohn«, erwiderte der Heiratsvermittler Cheng. Als sei das ein Kompliment.
»Meinen Sie?«
»Das sieht man.«
»Ich weiß nicht«, sagte Anna, »warum ich überhaupt mit Ihnen rede.«
»Das fragen sich viele Leute«, gestand Cheng. Und wollte wissen: »Wo steht Ihr Wagen?«
Anna zeigte auf etwas, das gerade noch zu zehn Prozent vom Schnee unbedeckt war. Eigentlich hätte man Strakas Leute bitten können, beim Freimachen zu helfen. Aber die würden wohl gemeint haben, man wolle sie verarschen. Weshalb Anna einen Handschuh von derselben Farbe des Mantels von ihrer Hand zog und damit gerade soviel Schnee vom Wagen wischte, wie absolut nötig war. Sodann stieg man ein, drückte mittels Autoreifen den frischen Schnee platt und fuhr los. Die Polizei im Rücken.
41 Der Wind
Die Welt ist Modell. So wie Konrad Lorenz sagt, die Welt ist Aquarium. Und was würde dem Modellcharakter besser entsprechen als ein Aquarium? Nur, daß wir dabei stets an relativ kleine Glaskästen denken und an ziemlich stumme Fische und an das bißchen Tod und Leben, das in diesen transparenten Schachteln exemplarisch über die mit Filtersystemen ausgestattete, beleuchtete Bühne zieht. Aber selbstverständlich ist der Lorenzsche Ausspruch wortwörtlich zu nehmen. Die ganze Welt ist ein Aquarium, und die Frage lautet, ob es sich dabei um einen Ort der Nachstellung handelt oder bloß um eins dieser Architekturmodelle, die nie gebaut werden.
Gebäude nun, sind sie groß genug und in reichem Maße bevölkert, verweisen natürlich stärker auf den Modellcharakter der Welt als ausgedehnte, menschenleere Landstriche oder niederösterreichische Kleinstädte nach sechs Uhr abends. Eine solche erleuchtete, belüftete, von lebendigen Menschen frequentierte Architektur ist wie ein Aquarium im Aquarium. Ein Modell für sich. Ein attraktives Objekt.
Und genau dies konnte man an diesem verschneiten Abend von der Wiener Hauptbücherei behaupten, welche aus dem Gefunkel der umliegenden Verkehrslandschaft in den nächtlichen Himmel aufragte, sehr in der Art eines soeben untergegangenen Schiffes. In den Etagen herrschte Großbetrieb. Das war alles andere als eine intime Feierstunde norwegischer und österreichischer Handschriftensammler. Denn obgleich ja nur ein ausgesuchtes und eingeladenes Publikum zugelassen war, berührte das Thema des Abends vielerlei Bereiche. Die Diplomatie war zugegen, die Wirtschaft, Vertreter der Kirche, der Kultur sowieso, und zwar vom Burgschauspieler bis zum Stararchitekten. Und welcher Wiener Häuselbauer hätte sich nicht als letzteres empfunden? So wie sich in Wien jeder Katholik ein wenig als Kardinal oder Bischof fühlt, als Theologe ohnedies, und als Inquisitor sowieso. Die Wiener sind nicht größenwahnsinnig, sondern Umverteiler der Begabungen.
Natürlich waren auch die Freunde des Hauses gekommen, sowie Freunde aus befreundeten Häusern. Nur die Politik schien sich fern zu halten, was die Stimmung nicht gerade trübte. Politiker, gleich welchen Couleurs, sind im Grunde zu bedauern. Ihre Präsenz wird selten wirklich goutiert. Man hält sie für ungebildet und ordinär, ein wenig in der Art, wie man einst über Fußballer dachte. Was sich freilich geändert hat. Fußballer dienen heutzutage als Ausblick in die große, weite Welt. Während Politiker für all die unerfreulichen Entwicklungen im eigenen Lande geradezustehen haben. Man spuckt auf die armen Kerle. Darum auch fungieren sie so selten als Zierde einer Veranstaltung. Wer möchte schon mit einem
Weitere Kostenlose Bücher