Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
bißchen, danach stirbt man ohne Groll.
    Das erinnerte Cheng daran, daß es zumeist komplizierter ablief, leider. Er wandte sich um, im Begriff, Anna Gemini vorzustellen.
    »Was ist denn?« fragte Irene, die Verwirrung ihres Ex-Mannes erkennend.
    »Scheiße!« fluchte Cheng, wie Leute im Film fluchen, wenn ein Seil reißt. Und ein Seil war ja tatsächlich gerissen. Andererseits mangelte dem Umstand ein Gefühl wirklicher Überraschung. Cheng sagte sich: So muß es sein, alter Junge. Es gehört dazu. Es ist Teil einer Geschichte, die sich nicht umschreiben läßt.
    »Tut mir leid«, sagte Cheng zu Irene und Helwig, »ich muß los. Ich habe zu tun.«
    »Deiner Katze geht es gut«, rief Irene hinter Cheng her. Sie meinte Batman, den Kater, der also noch immer am Leben war.
    Er war übrigens schon lange nicht mehr Chengs Katze, sondern Helwigs Katze. Was der Katze freilich gleichgültig war. Katzen sind Wesen höherer Art. Wesen höherer Art, die nicht ganz begreifen, was sie auf diesem Planeten eigentlich verloren haben.
    Nun, das galt hin und wieder auch für nichthöhere Wesen.
    Während Cheng recht ziellos den Raum querte, kam ihm Oberstleutnant Straka entgegen.
    »Smolek ist weg«, erklärte Straka mit Verärgerung.
    »Gemini auch«, antwortete Cheng, als sei das ein guter Ausgleich.
    »Na wunderbar!« ächzte Straka. »Was passiert hier eigentlich? Was spielen wir? Freßschach? Sie hätten unbedingt bei Smolek bleiben müssen. Und jetzt verlieren Sie auch noch die Gemini.«
    Cheng ignorierte den Vorwurf. Statt dessen fragte er: »Und die Katzen?«
    »Was für …? Ach so! Irgend jemand im Haus sagte, diese Frau Rubinstein hätte die Viecher zu sich genommen …«
    »Ginette«, entfuhr es Cheng. Es war wohl so, daß er diesen Namen einfach gerne aussprach.
    »Wie bitte?«
    »Ginette Rubinstein«, sagte Cheng. Ein Rest von Verlegenheit köchelte.
    »Haben Sie was mit der Frau?« fragte der Oberstleutnant.
    »Sie lebt in der Wohnung, in der ich mein Büro hatte.«
    »Das beantwortet meine Frage nicht«, stellte Straka fest, bohrte aber nicht weiter nach, sondern erkundigte sich nach Anna Gemini.
    »Sie stand gerade noch da hinten«, sagte Cheng und streckte seinen verbliebenen Arm in Richtung auf die hohe Scheibe.
    »Was heißt gerade noch ?«
    »Daß sie jetzt weg ist. Allerdings dachte ich, Ihre Leute hätten das im Griff.«
    »Meine Leute sind im Gebäude«, sagte Straka. Wie man sagt: Meine Kinder können tauchen. Was nicht viel bedeutete. Es gab Kinder, die konnten tauchen, aber trotzdem nicht schwimmen.
    Straka fühlte sich unwohl, höchst unwohl. Die Dinge gingen aus dem Leim, nicht wie Möbel aus dem Leim gehen, sondern Menschen, die zu dick werden, deren Form kaum noch diesen Namen verdient. Welche die Übersicht über sich selbst verlieren, wie auch jeder Betrachter die Übersicht über einen solchen Körper verliert. Mein Gott, wie gerne hätte Straka endlich einen polizeilichen Strich gezogen, sprich Verhaftungen vorgenommen. Smolek verhaftet, und Smoleks Schwester, dazu Anna Gemini, vielleicht auch diesen Komponisten. Und nicht zuletzt Armbruster. Verhaften ist noch immer das beste. So wie es das beste ist, jemand zu küssen, anstatt nur dauernd davon zu reden.
    »Bei allem Respekt, Cheng«, sagte Straka, »mir wäre schon recht, wenn Sie jetzt mal etwas Konstruktives tun könnten. Oder noch besser … gar nichts.«
    Straka ging. Im Gehen holte er sein Funkgerät aus der Tasche. Cheng sah ihm traurig hinterher. Straka war sein Lieblingspolizist. Niemand, den er gern enttäuschte. Aber was sollte er tun? Auch er, Cheng, konnte die Leute nicht festbinden. Niemand, der sich halbwegs anständig verhielt, konnte das. Woraus sich ja all diese verworrenen Geschichten ergaben, eben weil die Leute nicht angebunden waren, sondern sich recht frei im Raum bewegten.
    Und während Cheng daran dachte, an den Raum und die viele freie, mitunter auch zu freie Bewegung im Raum, erblickte er sie. Oder meinte die Frau zu erkennen, die er ja noch nie gesehen hatte, von der er aber ein festes Bild besaß: Lilith, die Schwester Smoleks, die Frau, die sich für Mascha Reti ausgegeben hatte und die nun ohne Thanhouser und Rollstuhl sich bestens auf ihren beiden Beinen hielt. Eine elegante Greisin im grauen, nadelgestreiften Hosenanzug. Jugendlich, ohne sich lächerlich zu machen. Eine schlanke, große Neunzigjährige, ein Dior-Mannequin von Rentnerin, eine Kombination aus Coco Chanel, Lauren Bacali, russischer Krankenschwester,

Weitere Kostenlose Bücher