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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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volvitur orbis.«
    »Sie scherzen«, meinte Cheng, nicht zuletzt eingedenk der drei Kartäuserkatzen, die ihm eine Stunde zuvor über den Weg gelaufen waren.
    »Womit sollte ich scherzen?« fragte Smolek ernst. »Mit christlichen Symbolen? Das nun wirklich nicht, Herr Cheng. Ich habe ja auch nicht behauptet, daß dieser Junge ein richtiger Kartäuser ist. Aber dennoch ist er Mitglied eines Ordens.«
    »Sektierer?«
    »Kein Sektierer, Skateboardfahrer. Wenngleich sich das ziemlich weltlich anhört. Fragen Sie mich nicht, was nett daran ist, auf ein paar Quadratzentimetern Brett durch die Welt zu wackeln. Umgekehrt könnte man sich natürlich auch fragen, welche Lust darin besteht, in einer Mönchszelle zu darben.«
    »Skateboards? Habe ich Sie richtig verstanden?«
    »Ich kenne da eine Dame aus der Jugendbetreuung.«
    »Sie kennen viele Leute.«
    »Wenn man alt genug wird. Ich habe mich also bei dieser Dame erkundigt, was so ein Kartäuserkreuz auf der Mütze eines Jugendlichen verloren hat. Sie war gar nicht verwundert und erwähnte eine Gruppe von Skateboardfahrern, die sich Die Patres nennen.«
    Smolek erklärte nun, daß diese Bezeichnung tatsächlich auf die einsiedlerische Vaterkaste der Kartäuser verweise. Nicht, daß diese Jugendlichen besonders katholisch wären und sich nur von Wasser und Brot ernähren würden. Allerdings hätten sie einen speziellen, stark reglementierten Fahrstil entwickelt. Keine Mätzchen. Kaum Figuren und Sprünge. Zudem sei eine Erneuerung des Bretts verboten. Ein Mitglied der Patres sei verpflichtet, ein einziges Board bis ans Ende seines Lebens zu benutzen.
    »Wobei ich nicht glaube«, sagte Smolek, »daß diese Kinder sich eine Vorstellung davon machen, wie lange so ein Leben dauern kann.«
    »Der Sinn einer Regel«, sagte Cheng, auch so ein kleiner Privattheologe, »besteht ja wohl darin, ungemütlich zu sein.«
    »Nun, theoretisch kann man sich so ein Brett auch in die Wohnung hängen, sich davor hinknien und beten, nicht wahr? Beten ist nun mal leichter als balancieren.«
    »Haben Sie den Jungen ausfindig gemacht?« fragte Cheng.
    »Ich sagte schon, ich bin ein Laie. Ein paar Leute kontaktieren und die richtigen Fragen stellen, von mir aus. Das aber reicht dann auch. Nein, Feinarbeit, das ist Ihr Job.«
    »Es wäre aber gut zu wissen, wo diese Patres sich treffen.«
    »Damit kann ich noch dienen. Wenn meine Dame von der Jugendbetreuung richtig informiert ist, rotten sich unsere Freunde gerne vor der Wotrubakirche zusammen. Durchaus passend, wenn man deren Hang zum Religiösen und Abgehobenen bedenkt. Zudem gibt es dort eine steile Abfahrt. Sie wissen, wo die Wotrubakirche liegt?«
    »Natürlich«, schlug Cheng einen beleidigten Ton an. In bezug auf seine Wienkenntnisse konnte man ihn leicht kränken. Und wie um diesem Beleidigtsein einen obskuren Ausdruck zu verleihen, sagte er: »Ich bin hungrig.«
    »Eine Speisekarte, Herr Stefan!« rief Smolek, erklärte aber seinerseits, sich nun zu verabschieden. Er pflege früh zu Bett zu gehen. Und immerhin stehe eine Arbeitswoche bevor, wenngleich er nicht behaupten dürfe, daß ihn seine Arbeit umbringe. Aber auch das müsse ausgestanden werden.
    »Ich hörte«, sagte Cheng, »daß Sie ein Archiv betreuen.«
    »Archiv ist ein großes Wort. Aber lassen wir das.«
    Smolek erhob sich und bezahlte im Stehen seine Rechnung. Gleichzeitig erhielt Cheng die mit Schreibmaschine gefertigte Speisekarte, die offenkundig seit sehr vielen Jahren dieselbe geblieben war. Und damit ist das Papier gemeint, das von mehr oder weniger sichtbaren Korrekturstellen übersät war. Denn die Preise hatten sich natürlich im Laufe der Zeit verändert, waren allerdings noch immer erstaunlich moderat.
    »Wir treffen uns«, bestimmte Smolek, »von heute an jeden zweiten Abend. Acht Uhr. Dieser Tisch hier. Herr Stefan wird ihn für uns freihalten, falls das nötig ist.«
    »Kann ich Sie telefonisch erreichen?« fragte Cheng.
    »Lieber nicht«, meinte Smolek, verzichtete jedoch darauf, seine Vorsicht zu begründen. Statt dessen schlüpfte er in seinen Mantel, setzte sich einen steifen Altherrenhut auf seinen Altherrenkopf, schüttelte Herrn Stefan die Hand und verließ den Adlerhof. Zurück blieb … Nun, was war es?
    Jeder Mensch, der aus einem Raum tritt, hinterläßt einen Rückstand, einen Bodensatz seiner selbst. So grau und unauffällig kann der Mensch gar nicht sein. Wobei dieser Rückstand mal abstrakt, mal konkret ausfällt. Manche Leute lassen einen

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