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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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er so gut wie taub war, so vollzog sich ein Lärm in seinen Ohren, der Lärm von Schnee. Dazu kam die Kälte, die Nässe und das Gefühl, daß etwas von der Kacke an seinem rechten Hinterlauf hängengeblieben war. Sehr viel schlimmer ging es nicht mehr.
    Zurück nahm man den Bus. Denn auch Chengs Glaube daran, die Lebenserwartung seines Hundes durch solche windellosen Spaziergänge zu fördern, hielt sich in Grenzen. Zu Hause angekommen, legte er dem erschöpften Tier erneut ein Höschen an, stellte Futter bereit und ließ Lauscher für den Rest des Tages in Frieden.
     
    Nachmittags fuhr Cheng dann alleine hinaus nach Mauer, um jene über der Stadt gelegene Wotrubakirche aufzusuchen. Er wollte bloß mal sehen. Und hatte Glück. Vielleicht ganz einfach, weil das Wetter endgültig umschlug, die Wolken aufrissen, das Licht durchkam und sich eine plötzliche und heftige Wärme ausbreitete, ein verirrtes Stück Sommer. Solche Sommerstücke existieren. Wie Leute, die immer zu früh oder zu spät erscheinen und die wir dafür auch noch lieben. So wie ja auch im gegebenen Fall unklar blieb, ob dieser Einbruch von Licht und Wärme vom letzten Sommer stammte oder einer Jahreszeit angehörte, die erst kommen würde.
    Jedenfalls war eine ganze Gruppe von Skateboardern vor Ort. Die meisten standen oder hockten vor dem Kircheneingang, und jeder hielt sein Brett wie einen vom Rücken gebrochenen Flügel. Auch hier konnte man, wenn man wollte, eine Schar von Engeln erkennen. Unfähig zum Fluge, eine Straußenfamilie von Cherubinen. Gesprochen wurde nichts. Man blickte konzentriert auf den einen Akteur, welcher soeben den betonierten, aber unebenen, in einer steilen Kurve abwärts führenden Weg dahinratterte, wobei dieser Weg von einer Vielzahl von Stufen unterbrochen wurde. Die Unterbrechungen freilich bedeuteten den eigentlichen Spaß, die Herausforderung, die Prüfung, die göttliche Klippe, über die man sich gläubig stürzte.
    Im Gegensatz aber zu der bekannten Manier, solche Barrieren im Fluge zu nehmen, nach dem Board fassend einen Sprung zu wagen, versuchten die Jungs hier, die Stufen als solche zu bewältigen. Ihnen nicht auszuweichen.
    Mit großer Rasanz, die Knie nur leicht angewinkelt, die Arme dachartig ausgestreckt, holperten sie über die schwierige Strecke, mit allen Rädern am Boden bleibend.
    Darin schien der Clou zu bestehen. Sich das Springen zu verbeißen. Was um einiges schwieriger anmutete, als in der üblichen Weise über ein Hindernis zu hechten. Zudem meinte Cheng zu erkennen, daß die gesamte Körperhaltung einem genauen Muster entsprach. Auch wenn sich Unsauberkeiten und Abweichungen einstellten. Aber darum war man ja hier, der Exerzitien wegen. Dazu kam, daß all die Jungs – Mädchen waren keine zu sehen – eine schwarze Mütze trugen, darauf das immergleiche Symbol zu erkennen war. Keine Frage: Kartäuser.
    Cheng marschierte über einen zweiten, gegenüberliegenden und von den Patres unbenutzten Weg nach oben und stellte sich nahe der Kirche in den Schatten. Obgleich es natürlich in der Sonne angenehmer gewesen wäre. Aber aus dem Dunkel heraus hatte er die bessere Sicht. Auch wäre er ansonsten gezwungen gewesen, sich mitten unter die Skateboarder zu mischen. Was er keinesfalls wollte. Die Nähe zu jungen Menschen war ihm grundsätzlich unangenehm. Nicht, weil er Kinder haßte. Aber sie waren ihm nun mal fremd, wie einem Spinnen fremd sein mögen, oder Mäuse, die sprechen können, oder Fernsehgeräte, die sich von selbst einschalten, oder Autos, die eigenhändig das Tempo erhöhen. So war das für ihn. Auch darum sein Stillhalten im Schatten.
    Es dauerte nicht allzu lange, da erkannte Cheng den Jungen, nach welchem er suchte. Zunächst war dieser auf die Entfernung hin von den anderen nicht zu unterscheiden gewesen. Er trug dieselbe Kleidung, hatte dasselbe Zeichen auf seiner tief ins Gesicht gezogenen Wollmütze und besaß wie alle hier ein dunkelfarbenes Board, schwarze Turnschuhe und eine beim bloßen Stehen knorrige Körperhaltung. Erst als er an der Reihe war, sich den Weg hinunterzustürzen, bemerkte Cheng dessen Andersartigkeit. Obgleich der Junge den gleichen Stil wie seine Ordensbrüder praktizierte, waren seine Armbewegungen heftiger und ausgreifender. Auch das Schlenkern des Kopfes fiel auf. Zudem schrie dieser Junge mehrmals kurz auf, und zwar in der Art eines Bellens, während bisher allein das Poltern und Knirschen der Räder zu vernehmen gewesen war. Er fuhr nicht schlechter und

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