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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Ich bin nicht Florist, sondern Detektiv. Und habe den Tod eines Botschafters aufzuklären.«
    »Moment!« unterbrach Smolek und blickte in Richtung des sich nähernden Wirtes.
    Herr Stefan betrachtete Cheng nun um einiges freundlicher als noch zuvor. Offenkundig war Smolek ein gerngesehener Gast und somit ein jeder sakrosankt, der an seinem Tisch Platz nehmen durfte.
    Herr Stefan erwies sich als Ungar, der seit langem in Wien lebte. Sein Akzent schwang dahin wie der Stock eines Polospielers. Sehr elegant, aber nicht ohne Wucht. Zudem zeigte sich – nachdem Smolek Stuttgart und Kopenhagen erwähnt hatte –, daß Herr Stefan über eine große Kenntnis des schwäbischen wie des dänischen Fußballsports verfügte.
    So kam es, daß der Wirt sich minutenlang über das aktuelle Stuttgarter Fußballwunder ausließ, wobei seine Bemerkungen gescheit und kompetent wirkten. Er schien einer von diesen Experten zu sein, nach denen in den Verbänden und Vereinen dauernd gesucht wurde, und die es ja tatsächlich in nicht geringen Mengen gab. Nur nicht im Fernsehen und nur nicht in den Clubs.
    Herrn Stefans gleichmäßiger Redeschwall brachte allerdings mit sich, daß Markus Cheng nicht dazu kam, eine Bestellung aufzugeben. Er saß wie auf Nägeln. Nicht allein des Durstes wegen. Er fand es einfach unpassend, in einem Wirtshaus zu sein, ohne wenigstens ein leeres Glas vor sich stehen zu haben.
    Doch weder Cheng noch Smolek, der für Fußball rein gar nichts übrig hatte, unterbrachen den Wirt. Niemand tat das. Und soviel Leute konnten gar nicht in diesem Lokal sitzen, daß Herr Stefan – der stets ohne Assistenz war – darauf verzichtet hätte, jemand bei einem leeren oder gar keinem Glas über etwas Bestimmtes aufzuklären, wobei es nichts zu geben schien, was nicht auf die eine oder andere Weise in die Lust und Qual der Fußballerei mündete. Herr Stefan redete und man hörte zu oder hörte eben nicht zu. Warten mußte ein jeder.
    Es war somit der Wirt selbst, der sich schließlich unterbrach, um in eine kurze, priesterhafte Nachdenklichkeit zu verfallen. Dabei neigte er leicht den Kopf und kreuzte seine Hände über einer sauberen, weißen, aber eben nicht blendendweißen Arbeitsschürze.
    Eine Weile stand er so da, dann löste er die Kreuzform seiner Hände, zog einen Bierdeckel aus dem Gestell, legte ihn wie einen Elfmeterpunkt vor Cheng hin und fragte, was er ihm bringen könne. Den zweiten Arm hielt er dabei seitlich gegen den Rücken. Sehr gefaßt. Sehr präzise. Sehr souverän. Geradezu einarmig.
    Cheng bestellte ein Viertel Weißwein. In einem solchen Lokal ein anderes Getränk zu bestellen (außer man besaß eine Körper- und Gesichtsform, die den Genuß von Bier erzwang), hätte von wenig Verstand und noch weniger Stil gezeugt. Und beides besaß Cheng nun einmal.
    »Was genau wollen Sie in Wien tun?« fragte Smolek, nachdem sich der Wirt entfernt hatte und man wieder alleine wie in einem Extrazimmer saß.
    »Ich verstehe nicht«, sagte Cheng. »Ich habe einen Auftrag.«
    »Sie haben diesen Auftrag angenommen. Das ist ein Unterschied, Herr Cheng. Sie hätten ablehnen können.«
    »Ich lebe nicht zuletzt davon, Aufträge anzunehmen statt abzulehnen.«
    »Schon richtig. Aber Wien? Ich bitte Sie! Jemand mit Ihren Erlebnissen müßte um Wien einen großen Bogen machen. Genau den Bogen, den Sie ja in den letzten Jahren auch gemacht haben. Warum ändern Sie das plötzlich? Was suchen Sie wirklich?«
    »Na gut, wenn Sie etwas hören wollen, dann sage ich eben, ich suche meinen fehlenden Arm.«
    Smolek schien zu überlegen. Und erklärte dann auch, daß dies ein plausibler Grund sei. Wenngleich im übertragenen Sinn zu verstehen.
    »Keineswegs«, sagte Cheng, wie jemand, der auf einen Zug aufgesprungen war, auf den er gar nicht hatte aufspringen wollen. »Den Arm gibt es. Er liegt im Eis begraben.«
    »Im Ernst?«
    »Im Ernst.«
    Tatsächlich war Chengs abgetrennter Unterarm in der Nähe eines dubiosen österreichischen Wintersportorts in eine Gletscherspalte gefallen und verschwunden geblieben. Wobei nicht wirklich nach ihm gesucht worden war. Wozu denn auch? Eine Anfügung der Gliedmaße wäre in keinem Fall möglich gewesen.
    Rein theoretisch war also durchaus die Chance gegeben, daß dieser Arm in seinem ursprünglichen Zustand existierte, eingeschlossen im Gefrierfach eines gefährlichen Berges.
    Wien war dann natürlich der falsche Ort, um nach diesem Arm zu suchen. Aber andererseits war es so, daß die Geschichte von

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