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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Maschinenhafte seines Wesens und das Ausschnitthafte seiner Bilder nicht leugnete, während ja neuartige Fernsehgeräte den Eindruck vermitteln, ihre Bilder würden mit beiden Beinen mitten im Zimmer stehen und gewaltig das Maul aufreißen. Ironischerweise steigert sich mit der Flachheit der Monitore ihre Präsenz. Die Bilder zerschneiden den Raum.
    Nicht so im Adlerhof, wo der Fernseher noch eine richtige Kiste war. Und die Stühle Stühle, was bedeutete, daß sie nicht bloß eine praktische oder unpraktische Funktion erfüllten, sondern auch ohne diese Funktion zu bestehen imstande waren. Wie auch etwa Schildkröten bestehen können, ohne den Inhalt einer Suppe abzugeben. Adlerhofstühle besaßen die Autonomie von Schildkröten, weshalb dieses Lokal auch im leeren Zustand einen belebten Eindruck machte.
    Was jetzt beinahe der Fall war, da nur zwei Gäste sich den Raum teilten. Mit dem eingetretenen Cheng waren es drei.
    Ein mit einem schweren Mantel und einer Pelzkappe bekleideter Mann lehnte an der Theke, hielt sein Glas Weißwein fest und sah hinauf zum Fernseher, wo gerade jemand sprach, der im Gegensatz zu Adlerhofstühlen und Schildkröten nicht den Eindruck machte, außerhalb seiner Funktion eine glaubwürdige Existenz nachweisen zu können.
    Hinter der Theke stand der Wirt, der ebenfalls zum Fernseher blickte, während er gleichmäßig den Rand eines Glases polierte, und zwar genau in dieser Art zigfachen Öffnen und Schließens. Er ging wohl auf die Sechzig zu, ein eher kleiner, schlanker, robuster Mensch, ein Mensch in der Art einer Echse. Er warf Cheng einen knappen, man könnte sagen einen vorsichtigen Gruß zu, um gleich wieder nach oben zu sehen, ein wenig um die Ecke. Keine Frage, dieser Wirt war einer von denen, die spielend um eine Ecke zu lugen verstanden.
    Im hinteren Teil des hohen, von korbartig angeordneten Neonröhren lückenlos erhellten Raums, gegen eine mit Veranstaltungsplakaten verklebte Wand hin, saß ein Gast im Alter des Wirtes, beleibter als dieser, aber sehr viel unscheinbarer.
    Nicht, daß Cheng ihm je zuvor begegnet war. Nicht, daß ihm Ludvig Dalgard etwa ein Bild dieses Mannes gezeigt hatte. Und doch war Cheng sofort klar, daß es sich nur um Kurt Smolek handeln konnte.
    »Herr Smolek, mein Name ist Cheng.«
    »Schön, Herr Cheng«, sagte Smolek und hob die rechte Hand von seinem Schoß, als ziehe er ein Ei aus einem warmen Nest. Mit einer kleinen Geste lud er den Detektiv ein, sich zu setzen.
    Cheng löste sich aus seinem Mantel, den er auf der Lehne des Nebenstuhls ablegte, und nahm Platz, wobei er sich um eine Haltung bemühte, die zwischen höflicher Konzentration und der Neigung pendelte, nur nichts zu übertreiben.
    »Hatten Sie einen guten Flug?« fragte Smolek, während er fast gleichzeitig, wie aus einem zweiten Mund, nach dem Wirt rief: »Herr Stefan, bitte!«
    Cheng wandte sich zu dem Wirt hin, wie um das Verhältnis zwischen Namen und Namensträger zu überprüfen. Jedenfalls machte Herr Stefan keine Anstalten, die Politur des Glases zu beenden und seinen Blick vom Bildschirm zu lösen. Mag sein, daß er nickte, mag sein, daß er etwas murmelte.
    »Ich bin über Stuttgart gekommen, wie Sie wissen«, sagte Cheng. »Der Umweg war nötig. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.«
    »Herr Dalgard hat mir das erklärt. Na, er hat es versucht. Was soll’s? Man muß ja nicht alles verstehen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich wundere mich, daß Sie derart an Stuttgart hängen. Ich kenne die Stadt. Eine Cousine lebt dort. Wenn man das ein Leben nennen darf. Man könnte ebensogut in einem Krankenhaus liegen.«
    »Wieso? Wegen der Langeweile?«
    »Dagegen hätte ich nichts. Es ist diese Luft. Wie unter einem Sauerstoffzelt, das nicht funktioniert. Oder gerade soviel, daß man nicht erstickt.«
    »Es hat rein formale Gründe, daß ich über Stuttgart kam.«
    Es klang durchaus wie eine Entschuldigung. Soweit war Cheng ein richtiger Stuttgarter geworden und geblieben. Indem er sich für seine Stadt genierte.
    »Na, jetzt sind Sie ja hier«, meinte Smolek, um Cheng sogleich davor zu warnen, sich allzu viele Eigenheiten zu leisten.
    »Ich will offen sein, Herr Cheng. Ich kann unsere norwegischen Freunde nicht ganz verstehen. Einen Mann wie Sie zu engagieren. Soweit ich weiß, ziehen Sie das Unglück an.«
    »Das war einmal«, sagte Cheng. »Die Zeiten haben sich geändert. Wenngleich mein Beruf ganz zwangsläufig eine Nähe zur Katastrophe mit sich bringt. Was verlangen Sie denn?

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