Ein dickes Fell
wiederum von seiner Musik zu halten hatte … nun, das war eine Geschmacksfrage, welche Cheng schwer beantworten konnte. Er erkannte durchaus, wie geschickt diese Klangteppiche ineinandergriffen und solcherart eine Teppichlandschaft ergaben, auf der die Waschmaschine, die Rockmusik, das Didgeridoo und das Zitherspiel ausreichend Platz fanden. Andererseits begriff Cheng nicht, was das alles mit einem Tierfilm zu tun haben sollte. Immerhin war im Rahmen dieser ganzen Inszenierung kein einziges Tier oder tierähnliches Konstrukt zu sehen oder zu hören. Also auch kein eingeblendeter Tierfilm.
Cheng empfand dieses Manko als geradezu symptomatisch für die Avantgarde, nämlich sich dem Thema zu verweigern, etwas Nacktes anzukündigen und dann etwas Angezogenes zu präsentieren. Beziehungsweise umgekehrt. Themenverfehlung als Prinzip. Hätte dieses Werk etwa »Symphonie für eine Waschmaschine« geheißen, so wäre – davon war Cheng überzeugt – auf keinen Fall eine Waschmaschine oder auch nur ein Haushaltsgerät zum Einsatz gekommen.
Aber wie gesagt, Cheng anerkannte die Qualität dieser Komposition. Die Manier, mit der Janota das Populäre mit dem Sperrigen verband, ohne daß dabei eine Kröte mit zwei Köpfen herausgekommen wäre. Sondern etwas Symbiotisches, also eine Flechte.
Nach drei weiteren Sätzen, die einen glitzernden Mittag, einen beschaulichen Nachmittag und einen wilden Abend vertonten, endete die Musik folgerichtig mit einem Ermüden der Instrumente, mit einem Abklingen und Ausklingen, einem erneuten Gegähne, mit kleinen Zusammenbrüchen, Träumereien, Nachtmusik und regelrechtem Geschnarche. Als letztes Instrument beschloß die Waschmaschine ihren langen Lauf. Das Signallicht verlosch. Sodann auch jedes andere Licht, die Notbeleuchtung natürlich ausgenommen.
Der Applaus kam rasch und stürmisch. Man bedankte sich mehr als höflich bei den Akteuren. Richtig euphorisch aber wurde es, als Janota erschien, wobei man hätte meinen können, er sei aus der Leinwand gestiegen. Er stand mit einem Mal da, lebensgroß, nur noch ein Mensch, ein Mensch freilich im Licht der Scheinwerfer, ein Mensch, von dem es hieß, er würde mit Robert de Niro vierhändig Klavier spielen. Er trug eine Sonnenbrille, dazu schulterlanges, glattes, braunes Haar und einen blaßblauen Anzug, der so verknüllt war, als sei er gerade aus eben jener Waschmaschine gezogen worden.
Dieser dunkel bebrillte, kunstvoll zerknautschte Mensch verbeugte sich. Nicht zu viel und nicht zu wenig, selbst diese Verbeugung noch als einen Teil seines Dirigats einsetzend. Ja, er dirigierte das Publikum. Und als es an der Zeit war, streckte er einen Finger aus, wischte durch die Luft und beendete überlegen die Ovation.
Danach folgte zwar der Lärm des sich von den Plätzen erhebenden und in einen Zustand halb privater, halb öffentlicher Erregung verfallenden Publikums, aber selbst da noch schien man einer Anweisung zu folgen. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Leute aus der Gebundenheit an den Komponisten wieder herausfanden.
Selbiger befand sich umringt von Fans und Kameras und empfing die Gratulationen gleich einem Priester, der milde Spenden nicht für sich selbst, sondern für eine gute Sache entgegennimmt. Nun, Musik, noch dazu nicht ganz einfache Musik, war sicher eine solche gute Sache. Und ein wahrer Priester im Grunde uneitel. Im Grunde.
Nachdem Apostolo Janota lange genug die Huldigungen einiger Damen und Herren ertragen und die Fragen der Fachjournalisten in der Art und Weise beantwortet hatte, mit der man Fische fängt, ihnen die Schädel einschlägt und sie dann wieder ins Wasser zurückwirft, bat er um Verständnis, aber eine kleine Feier im Kreise der Musiker, der Förderer und Freunde stehe an, zu der er sich nun begeben wolle. Und tat dies auch, sich ein letztes Mal verbeugend, sodann aufrecht und wirkungsvoll, aber im Prinzip unaufwendig eine Schneise durch die Menge schlagend.
»Könnten Sie ein bißchen bei meinem Sohn bleiben?«
»Wie bitte?«
»Er bleibt nicht gerne alleine.«
»Wir sind nicht alleine«, sagte Cheng und wies mit einer ausholenden Handbewegung auf die zahlreichen Personen, die diskutierend, Wein schlürfend und Brötchen kauend um sie herumstanden.
»Ich meine jemand, den er kennt.«
»Er kennt mich nicht«, sagte Cheng in einem erbosten, aber auch hilflosen Ton. Er wand sich.
Wer das freilich nötig hat, sich zu winden, hat auch schon verloren. Aber das war Cheng noch nicht bewußt, weshalb
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