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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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öfter in den jenseitigen, der City zugewandten Teil des Parks begeben, so wie man eben in die Welt hinausschreitet. In eine fremde Welt, die aber – im Gegensatz zu jenen unentdeckten Schlünden – ohne Geheimnis blieb. Außer man hält es für geheimnisvoll, daß Menschen unterschiedlichster Kulturen in ähnlicher Weise ein Vergnügen darin finden, sich vor einem mit Blumen verunzierten, wenngleich kaum noch verunzierbaren Monument des Herrn Johann Strauß fotografieren zu lassen.
     
    In der Nähe dieses Denkmals stand nun Cheng im Schnee und sah hinüber auf den Teich, auf dem ein paar nachtaktive Enten schwammen und solcherart das sich spiegelnde Licht zerschnitten. Hinter dem Park ragte das Hilton in die Höhe, das mit Abstand häßlichste Hilton der Welt, welches dennoch sehr gut an diese Stelle paßte, diesen ganzen Ort erst komplett erscheinen ließ. Vergleichbar einem wirklich schlechten Schauspieler, der aber in einer ganz bestimmten Rolle einen perfekten Eindruck vermittelt. Man denke an sämtliche Darsteller der ersten Star-Trek-Generation.
    Hinter sich vernahm Cheng das Rauschen der Autos, die pulkweise über den Parkring donnerten. Er sah auf die Uhr, wandte sich um und spazierte hinüber zum Zelinka-Denkmal, um sodann die Gartenanlage zu verlassen, den Ring zu überqueren und sich auf jenes Hochhaus zuzubewegen, in dessen Erd- und Untergeschoß sich das Gartenbau-Kino befand. Wahrlich eine Institution. Das Kino war 1960 errichtet worden und seiner Größe wegen bestens geeignet gewesen, Filme in Cinemascope zu zeigen. Ins Gartenbau-Kino zu gehen, hatte viel weniger bedeutet, sich einen Film anzusehen, als in diesen Film – wie man so sagte – hineinzugehen.
    Vierzig Jahre später war es noch immer das größte richtige Kino der Stadt, wenn man unter richtigem Kino einen einzelnen Saal verstand, und nicht eines dieser Center, in deren Labyrinthen sich die Älteren verloren, um schließlich zu meinen, im falschen Film zu sitzen.
    Um das Kino herum drängte sich eine Masse von Besuchern, wobei die wenigsten winterliche Kleidung trugen. Kein Wunder. Denn wer verstand es noch, sich in dicken Mänteln und dicken Kapuzen zu präsentieren, würdevoll zu präsentieren, wie das einst die Mitglieder des Obersten Sowjets gekonnt hatten? Heutzutage hingegen wagte kaum jemand – war eine Fernsehkamera in der Nähe – sich in winterfester Kleidung zu zeigen. Und Fernsehkameras waren hier nun mal in der Nähe. Immer wieder ging für einen Moment ein Scheinwerfer an und tauchte ein bestimmtes Gesicht in grelles Licht, so wie man jemand einen Eimer Wasser überstülpt und der solcherart Begossene auch noch dankbar lächelt.
    Ganz offensichtlich handelte es sich bei dieser Uraufführung um ein gesellschaftliches Großereignis. Limousinen fuhren vor und entließen Frauen auf langen Beinen und Männer, deren einziges Zugeständnis an diesen Wintereinbruch in einem Stückchen Schal bestand. Wobei natürlich ein Teil dieser Leute – vor allem ältere Intellektuelle – das ganze Jahr über mit Schals durch die Gegend liefen, selbst noch im Sommer in Salzburg, ohne daß der Sinn dieser Schals erkennbar geworden wäre. Vor allem ästhetisch nicht.
     
    »Hallo!«
    Cheng spürte eine Hand auf seiner Schulter, als wäre ein kleiner Vogel auf ihr gelandet. Ein so gut wie gewichtsloses Wesen, das aber im Zuge einer solchen Landung etwas Gewichtiges und Eindeutiges annahm. Als sei eigentlich ein Dämon gelandet.
    Cheng wandte sich um und sah in das schmale, helle Gesicht Anna Geminis. Daneben ihr Sohn, der dank seines silbergrauen Parkas und vor allem wegen seiner wollenen Kartäuser-Mütze als einer der wenigen hier eine Nacht im Freien überlebt hätte. Seine Mutter hingegen folgte der allgemeinen Unvernunft und hatte ihren von einem rotgoldenen, engen Strickkleid umspannten Körper bloß noch mit einem Trenchcoat abgedeckt. Der übergeworfene Männermantel verlieh dieser Frau etwas Improvisiertes. Sehr französisch. Sehr Romy Schneider. Als sei sie gerade mal zum Zigarettenholen auf die Straße getreten.
    »Ich dachte nicht«, meinte Cheng, »daß wir uns in diesem Gewirr finden würden.«
    »Eine Frage des Instinkts«, sagte Anna, wie man sagt: Knollenblätterpilze sind giftig.
    Sodann stellte sie ihren Sohn Carl vor.
    Cheng reichte dem Jungen die Hand und betrachtete das unfertige Antlitz eines Vierzehnjährigen. Dabei ging es Cheng wie den meisten Erwachsenen. Er konnte dieses Gesicht in keiner Weise einordnen, so

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