Ein diebisches Vergnügen
erreichen.«
»Braves Mädchen.«
»Er wird bald wieder auf der Matte stehen. Was soll ich ihm dann sagen? Hast du etwas herausgefunden?«
Sam hatte einen untrüglichen Instinkt für Menschen in verzweifelten Situationen entwickelt, und hier handelte es sich um eine Krise erster Güte. Danny Roth auf dem Kriegspfad, Schaum vor dem Mund, Gift und Galle sprühend, würde selbst die Geduld eines Heiligen ernsthaft auf die Probe stellen. Es war an der Zeit für eine, wie er hoffte, einleuchtende Notlüge.
»Hör zu. Sag Roth, dass ich Verhandlungen mit den Behörden in Bordeaux führe und hoffe, in den nächsten Tagen einen Durchbruch zu erzielen. Aber – und das ist sehr wichtig – diese Verhandlungen sind heikel und extrem sicherheitsempfindlich . Die Reputation der Stadt Bordeaux steht auf dem Spiel. Publicity, gleich wie und gleich wo, könnte den Erfolg des Unternehmens gefährden. Also keine Anwälte, keine Medien, kein Gouverneur. In Ordnung?«
Er konnte beinahe hören, wie Elenas Gehirn am anderen Ende der Leitung tickte. »Was ist wirklich los, Sam?«
»Wir haben eine Spur, die möglicherweise wichtig sein könnte, deshalb werden wir morgen nach Marseille fliegen, um ihr nachzugehen.«
»Wir?«
Sam seufzte. Zum zweiten Mal an diesem Abend stellte man ihm diese Frage. »Madame Costes begleitet mich. Sie hat dort unten einen Kontakt, der nützlich sein könnte.«
»Wie ist sie denn?«
»Madame Costes? Farblos, fett und fünfzig. Du weißt schon.«
»Genau. Ein heißer Feger.«
»Gute Nacht, Elena.«
»Gute Nacht, Sam.«
11. Kapitel
S am war noch nie in Marseille gewesen, aber er hatte den Film French Connection – Brennpunkt Brooklyn gesehen und den einen oder anderen spannenden Artikel von Reiseschriftstellern gelesen. Daher glaubte er zu wissen, was ihn erwartete. Ein Moloch: Hinter jeder Ecke würden Halunken und Halsabschneider lauern, zweifellos künftige Mafiabosse, die hier den praktischen Teil ihrer Ausbildung absolvierten. Der Fischmarkt am Quai des Belges war allem Anschein nach ein Umschlagplatz für Substanzen, die man nicht unbedingt im Inneren eines Fisches erwartete: mit Heroin gefüllte Seebarsche oder Zackenbarsche mit Kokain-Garnierung. Taschendiebe und andere Ganoven würden sich strategisch so geschickt positionieren, dass sie unbedachten Touristen mühelos Kameras, Geldbörsen oder Handtaschen abnehmen konnten. Ein heißes Pflaster, auf dem in jeder Hinsicht Somerset Maughams zusammenfassendes Urteil über die Côte d’Azur seinen Nachhall finden würde, der von einem »sonnigen Fleckchen Erde für Schattengestalten« gesprochen hatte.
Sophie, die einige Jahre zuvor in der geschichtsträchtigen Hafenstadt gewesen war – zum ersten und zum letzten Mal – trug wenig dazu bei, Sams Befürchtungen zu zerstreuen. Verglichen mit der wohlgeordneten Eleganz von Bordeaux, war
das Marseille, an das sie sich erinnerte, ein Labyrinth, gekennzeichnet durch Verfall und drangvolle Enge, ein Tummelplatz für zwielichtige, bisweilen finstere Gestalten männlichen und weiblichen Geschlechts. »Louche« war der Ausdruck, den sie für die anrüchige Metropole und ihre Einwohner verwendete, was laut Wörterbuch »fragwürdig, dubios, undurchsichtig und windig« bedeutete. Es war ihr ein Rätsel, wie ihr Cousin Philippe in einer solchen Stadt leben konnte, und das offenbar glücklich und zufrieden. Doch hatte sie, wie sie Sam anvertraute, oft den Verdacht, dass er eine verborgene Seite besaß, die ebenfalls nicht ganz astrein war.
Als sie an diesem Nachmittag auf dem Flughafen Marignane landeten, wurden diese düsteren Gedanken durch die blendende Helligkeit des Lichts, den strahlenden, Gauloisesblauen Himmel und das liebenswerte Naturell des Taxifahrers vertrieben, der sie ins Hotel brachte. Wie sich bald offenbarte, hatte er seine wahre Berufung verfehlt: Er wäre die ideale Besetzung in jedem Fremdenverkehrsbüro gewesen. Wenn man seinen Ausführungen glauben durfte, war Marseille der Mittelpunkt des Universums und Paris nichts weiter als ein Fliegendreck auf der Landkarte. Die Stadt, vor mehr als 2600 Jahren gegründet, stellte eine Fundgrube der Geschichte, Tradition und Kultur dar. Die Restaurants in Marseille waren der eigentliche Grund, warum Gott Fische erschaffen hatte. Und die Bewohner von Marseille waren die großzügigsten und warmherzigsten Menschen, die es gab, der reinste Balsam für die Seele.
Sophie hatte seine Lobeshymne kommentarlos hingenommen, obwohl das angedeutete
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