Ein diebisches Vergnügen
seine Nase verriet ihm, dass die Innereien vor ihm standen. Er senkte den Kopf und atmete das schwere, an Wild erinnernde Aroma ein, intensiver als gewöhnliches Fleisch, aber angenehm, reichhaltig und unendlich appetitanregend. Vielleicht hatte er sich geirrt, was die Eingeweide betraf. Er öffnete die Augen. In der Mitte des Tellers stieg eine zarte Rauchfahne aus einem Vulkan aus Kartoffelpüree auf, dessen ausgehöhlter Gipfel eine mit Bratensaft gefüllte Mulde aufwies. Rund um den Kartoffelberg waren vier pralle, dunkelbraune Kalbsnieren angeordnet, jede von der Größe eines Golfballs.
Sophie beugte sich über den Tisch, um einen kleinen Klecks Senf auf seinen Teller zu geben. »Nicht zu viel davon, sonst muss er gegen den Wein ankämpfen. Bon appétit .« Sie lehnte sich zurück und beobachtete, wie er den ersten Bissen zum Mund führte.
Er kaute. Und kaute. Und geriet ins Grübeln. Und mit einem Mal begann er zu strahlen. »Ich habe schon immer gesagt, dass es nichts gibt, was einen am Ende eines harten Tages schneller aufbauen kann als Kalbsnieren in Portwein.« Er küsste seine Fingerspitzen. »Ein Gedicht.«
Das Fleisch und der exzellente Pomerol wirkten wahre Wunder, und als sie mit den Brotkrumen die letzten Bratenreste aufgetunkt hatten, waren beide versöhnlich und vertrauensvoll
gestimmt. Die Verbindung zu Reboul war interessant, möglicherweise nicht mehr, doch zumindest handelte es sich um eine Spur, der sie nachgehen konnten.
»Fassen wir noch einmal zusammen: Ihren Erzählungen entnehme ich, dass der Mann mehr Geld hat als Ideen, was er damit anfangen könnte«, meinte Sam. »Er scheint ein wenig exzentrisch zu sein und hat ein Faible für alles Französische. Kann er als ernst zu nehmender Weinliebhaber gelten? Vermutlich schon, schließlich beschäftigt er einen caviste, einen Kellermeister, jenen Florian Vial. Hat er Geschäftskontakte in den Vereinigten Staaten? Sammelt er außer Mädchen und Jachten noch andere Dinge? Ich würde gerne mehr über ihn erfahren.«
»In diesem Fall sollten Sie sich mit meinem Cousin unterhalten.« Sophie nickte und nahm ihr Glas. »Ja, mein Cousin Philippe wäre genau der Richtige. Er lebt in Marseille und arbeitet für La Provence, eine große Regionalzeitung. Er ist dort Chefreporter und weiß mit Sicherheit mehr als ich über Francis Reboul. Philippe würde Ihnen gefallen. Er ist ein bisschen verrückt. Wie alle dort unten im Süden. Wir nennen es fada. «
» Klingt gut. Genau das, was wir brauchen. Wann brechen wir auf?«
»Wir?«
Sam beugte sich über den Tisch, mit ernster Stimme und eindringlicher Miene.
»Sie können mich doch nicht alleine fliegen lassen. Marseille ist eine große Stadt. Ich könnte mich verirren. Und ich habe dort niemanden, mit dem ich bouillabaisse essen kann. Ganz abgesehen davon rechnet Knox damit, dass Sie jedem Hinweis, jeder Spur folgen, selbst wenn das bedeutet, sich nach Südfrankreich begeben zu müssen. Wie wir in der
Versicherungsbranche sagen, es ist eine lausige Arbeit, aber irgendjemand muss sie verrichten.«
Sophie lachte, obwohl sie den Kopf schüttelte. »Überreden Sie Frauen immer dazu, nach Ihrer Pfeife zu tanzen?«
»Nicht so oft, wie ich möchte. Aber ich versuche es weiter. Wie wäre es zum Abschluss mit einem Stück von dem Camembert, den Delphine im Keller angekettet hat?«
»Ja zum Camembert.«
Als der Wein, der Kaffee und der Calvados ausgetrunken waren, den Delphine ihnen aufgenötigt hatte, war Sophie auch mit Marseille einverstanden.
Sam hatte zu Ende gepackt, den Fernseher eingeschaltet und wollte sich gerade mit einer Dosis CNN in den Schlaf lullen, als sein Handy klingelte.
»Guten Tag, Mr. Levitt. Wie geht es Ihnen?« Die Frauenstimme klang einnehmend, ein wenig hochtrabend und eindeutig kalifornisch. »Elena Morales möchte Sie sprechen.«
Sam unterdrückte ein Gähnen. »Elena, hast du eine Ahnung, wie spät es hier ist?«
»Ich hoffe, du bist nicht böse auf mich. Heute war wieder mal so ein Tag, den man am liebsten vergessen möchte. Roth sitzt mir im Nacken. Er tauchte im Büro auf und hat uns eine Stunde lang die Hölle heißgemacht – mit Anwälten, den Medien, seinem Kumpel, dem Gouverneur, gedroht – wenn er eine Sekunde länger geblieben wäre, hätte er vermutlich noch den Obersten Gerichtshof ins Spiel gebracht. Mit anderen Worten, er will wissen, was los ist, und er will sein Geld. Er hat nach deiner Handynummer gefragt, aber ich habe ihm gesagt, du wärst nicht zu
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