Ein diebisches Vergnügen
falls Flaschen des gesuchten Jahrgangs auftauchten. Der Verwalter kratzte sich am Kopf und kramte in seinen Schreibtischschubladen; schließlich fischte er eine alte Zigarrenkiste heraus, in der er Visitenkarten aufbewahrte, die ihm irgendwann einmal von Nutzen sein konnten. Er kippte den Inhalt aus – Karten von Kunden aus England und Amerika, darunter Weinjournalisten aus aller Herren Länder, der eine oder andere Meisterkoch, Fassbinder, Sommeliers – und breitete ihn auf dem Schreibtisch aus, eine beeindruckende Sammlung von Kupferdruckschriften auf elegantem weißem Karton.
Seine Finger flatterten über die Karten, bevor sie zum Stillstand kamen. » Voilà «, sagte er, als er eine Visitenkarte vom Rest trennte. »Ein sehr hartnäckiger Herr.« Sophie und Sam beugten sich gespannt vor.
Auf der Fahrt zum nächsten Château – dem vierten an diesem Tag – fragte Sam seine Begleiterin, ob sie etwas über die Groupe Reboul wisse. Hatte sie den Namen schon einmal gehört? Verbarg sich dahinter ein Weingroßhandel?
Sophie lachte. »In Frankreich kennt jedes Kind die Groupe Reboul. Sie ist allgegenwärtig, mischt überall mit.« Sie runzelte die Stirn. »Außer beim Wein. Dass Reboul, der Firmengründer, mit Wein handelt, ist mir neu. Ich erzähle Ihnen später
von ihm, aber machen Sie sich lieber keine allzu großen Hoffnungen. Vermutlich hatte der Besuch seines Kellermeisters einen ganz anderen Hintergrund; vielleicht war er rein zufällig in der Gegend.«
Vielleicht aber auch nicht, denn in Figeac und Margaux stellten sie fest, dass Monsieur Vial vor ihnen da gewesen war, auf der Suche nach Weinen des Jahrgangs 1982 bei dem einen und des Jahrgangs 1983 bei dem anderen Château, wobei er beide Male seine Visitenkarte hinterlassen hatte.
»Zwei Mal das gleiche Spiel könnte ein Zufall sein«, sagte Sam zu Sophie. »Aber nicht drei Mal. Ich lade Sie zum Abendessen ein, unter der Bedingung, dass Sie mir alles über Reboul erzählen.«
10. Kapitel
S am hatte sich stets für einen gastronomischen Abenteurer gehalten, bereit, fast alles zu essen, was ihm vorgesetzt wurde: Schnecken, Froschschenkel, Bärenfleisch, Haifischflossensuppe, Ameisen mit Schokoladenglasur, in Lehm gebackene Eichhörnchen – er hatte alles probiert und interessant gefunden, wenn auch nicht immer nach seinem Geschmack. Doch der Mut verließ ihn, wenn es um tierische Gedärme und Gekröse ging, die man gemeinhin als Innereien bezeichnete. Allein die Erwähnung von Kutteln ließ ihn schaudern. Er war ein klassisches Beispiel für die Unsitte, alles Essbare abzulehnen, von dem man überzeugt ist, dass es nicht schmeckt, und von Kindesbeinen an war es ihm gelungen, einen großen Bogen um Gerichte zu machen, die – in welcher Form auch immer – Eingeweide enthielten. Das sollte sich nun ändern.
Sophie hatte darauf gedrängt, am Abend noch einmal chez Delphine zu essen, und als sie vom Hotel aus zu Fuß zum Restaurant hinübergingen, erklärte sie, warum. Heute war Donnerstag. Und jeden Donnerstag bereitete Olivier, der Küchenchef, seine raffinierten rognons de veau in Portwein zu – Kalbsnieren -, und dazu gab es pürierte Kartoffeln, die so leicht und luftig waren, dass sie auf der Zunge zergingen. Es war zweifellos ihr Lieblingsgericht, mit dem kein anderes
auf der Welt mithalten konnte. Sie wollte gerade anfangen, sich über die Vorzüge der dabei gewonnenen Fonds auszulassen, als sie den Mangel an Begeisterung in Sams Reaktion und einen Hauch von Unlust in seiner Miene bemerkte.
Sie blieb abrupt stehen und wandte sich ihm zu. »Ach du meine Güte, das hatte ich vergessen. Amerikaner essen keine Nieren, oder?«
Sophie beobachtete belustigt, wie Sam tief Luft holte. »Wir sind nicht gerade erpicht darauf. Genauer gesagt, wir haben ein Problem mit Innereien. Ich habe sie noch nie probiert.«
»Innereien?«
»Sie wissen schon, innere Organe. Magen, Leber, Lunge, Bries, Eingeweide eben …«
»… und Nieren.« Sophie betrachtete ihn mitleidig. Wie konnte ein Mensch durchs Leben gehen, ohne Nieren zu probieren? Sie tippte ihn teilnahmsvoll auf die Schulter. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sollten sie Ihnen nicht schmecken, können Sie steak frites bestellen, auf meine Kosten. Vertrauen Sie mir.«
Als sie an ihrem angestammten Tisch Platz genommen hatten, wollte Sam nach der Weinkarte greifen, doch Sophies Zeigefinger trat wieder in Aktion: Dieses Mal wedelte er hin und her wie ein aus dem Ruder gelaufenes Metronom. »Aber nein,
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