Ein diebisches Vergnügen
Lächeln und die gerunzelte Stirn darauf hinwiesen, dass sie nicht restlos überzeugt war. Sie nutzte eine kurze Atempause, um den Taxifahrer zu fragen, was er von Francis Reboul hielt.
»Ah, Sissou, der heimliche Herrscher von Marseille!« Die Stimme des Taxifahrers nahm einen respektvollen Ton an. »Endlich mal jemand, der das Zeug hätte, unser Land zu regieren. Ein Mann des Volkes, trotz seiner Milliarden. Man stelle sich vor, der Mann spielt boule mit seinem Chauffeur! Er könnte sich überall ansiedeln, doch wo lebt er? Weder in Paris noch in Monte Carlo oder in der Schweiz, sondern mitten in Marseille, im Palais du Pharo, wo er vom Fenster aus den herrlichsten Ausblick der Welt genießen kann: den Vieux Port – unseren malerischen historischen Hafen -, das Mittelmeer, Château d’If, die prachtvolle Kathedrale Notre-Dame de la Garde … Merde! «
Der Taxifahrer legte eine Vollbremsung hin und den Rückwärtsgang ein, kurvte kreuz und quer zurück, begleitet vom Hupkonzert des nachfolgenden Verkehrs, bis er an eine kurze Auffahrt gelangte, die zum Hotel führte. Mit wortreichen Entschuldigungen, dass er über das Ziel hinausgeschossen war, ließ er sie aussteigen, überreichte Sophie seine Visitenkarte, strahlte anerkennend über Sams Trinkgeld und wünschte ihnen einen erinnerungswürdigen Aufenthalt in Marseille.
Auf Empfehlung ihres Cousins hatte Sophie Zimmer im Sofitel Vieux Port gebucht, einem modernen Hotel mit Blick auf das Fort Saint-Jean aus dem zwölften Jahrhundert, eine der drei Befestigungsanlagen, die errichtet worden waren, um Piraten und seefahrende Pariser in Schach zu halten. Oben in seinem Zimmer öffnete Sam die Schiebetür, trat auf den Balkon hinaus und atmete tief die salzige Meerluft ein. Nicht schlecht, dachte er, als er die weitläufige Stadt betrachtete, die sich unter ihm ausbreitete. Nicht schlecht. Der Frühling hatte in Marseille früh Einzug gehalten, und der Glanz des Sonnenlichts, das vom Wasser reflektiert wurde,
hatte die Luft so blank poliert, dass sie zu flimmern schien. Die Masten Hunderter kleiner Boote bildeten einen vor sich hin dümpelnden Wald im Hafen. Weit draußen auf dem Meer zeichnete sich die Silhouette von Château d’If ab, glatt, scharf und klar. Sam konnte sich nicht vorstellen, dass Rebouls Aussicht besser sein könnte.
Er ging hinunter, wo er sich mit Sophie in der Lobby verabredet hatte; sie war bereits da, marschierte auf und ab, das Handy am Ohr. Als sie das Telefonat beendet hatte, gesellte sie sich zu ihm und sah auf die Uhr.
»Das war Philippe. Er hat vorgeschlagen, dass wir uns in einer halben Stunde auf einen Drink treffen.«
»Die fangen ja früh an in Marseille. Kommt er hierher?«
Sie schüttelte seufzend den Kopf. »Mit Philippe ist das nicht so einfach. Er möchte uns eines seiner kleinen Stammlokale zeigen, in die sich kein Tourist verirrt. Es befindet sich in Le Panier. Er meinte, das sei ein netter kleiner Spaziergang vom Hotel aus, typisch Marseille . Sind Sie dafür gerüstet?«
Sie nahmen einen Stadtplan vom Empfangstresen mit und machten sich auf den Weg den Hügel hinab, in Richtung Alter Hafen. Unterwegs gab Sophie das Wenige weiter, was sie über Le Panier wusste. Das älteste Stadtviertel von Marseille, einstige Hochburg der Fischer, Korsen und Italiener, wurde während des Zweiten Weltkrieges zum Refugium für jüdische Flüchtlinge und andere Verfolgte, die den Schrecken der Naziherrschaft zu entkommen suchten. Im Zuge eines besonders hinterlistigen Vergeltungsaktes ordneten die Nazis 1943 die Räumung und Sprengung eines Großteils der Gebäude an.
»Philippe kennt viele Geschichten aus jener Zeit«, sagte Sophie. »Nach dem Krieg wurde dieses Viertel wieder aufgebaut
– ich behaupte, nicht besonders ansprechend -, und nun leben dort überwiegend Araber.«
Sie überquerten den Kai am Ende des Alten Hafens, bahnten sich den Weg durch das Gewirr der Touristen und Schüler, die auf die Fähre zum Château d’If warteten. Auf einer niedrigen Mauer hockte eine Reihe alter Männer, die blinzelnd wie Eidechsen im Sonnenlicht die weiblichen Passanten beäugten. Hunde streunten umher, beschnüffelten den Bereich, wo am Morgen der Fischmarkt stattgefunden hatte. Kinder im Sportwagen schnappten frische Luft, während ihre Mütter einen Plausch hielten. Eine Szenerie, die Harmonie und Frieden ausstrahlte, und Sam hatte das Gefühl, dass seine Erwartungen eindeutig enttäuscht wurden.
»Das scheint mir alles andere als ein
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