Ein diebisches Vergnügen
Vorzüge.
»Nettes Plätzchen«, meinte Sam. »Werden hier auch Hochzeiten gefeiert?«
»Nur Beerdigungen«, entgegnete Philippe grinsend. »Abgesehen davon geht es hier ruhig zu; ein verschwiegenes Örtchen. Ich benutze es vorzugsweise für Treffen mit lokalen Politikern, die nicht dabei gesehen werden möchten, wie sie in Gesellschaft der Presse aus dem Nähkästchen plaudern.«
»Haben die kein Telefon?«
Philippe schnalzte mit der Zunge. »Telefone können abgehört werden. Das sollten Sie eigentlich wissen, schließlich leben Sie in Amerika.« Er wandte sich um und rief zur Bar hinüber: » Minime, s’il te plaît? Wir sterben fast schon vor Durst.«
»Ich komme ja schon.« Minimes Stimme, ein angenehm leichter Bariton, drang hinter einem Vorhang aus Holzperlen im hinteren Teil der Bar hervor, unmittelbar gefolgt von ihrem Besitzer. Sie bot einen beeindruckenden Anblick: größer als einen Meter achtzig auf Schuhen mit hohen Absätzen, ein Wust feuerroter Locken, von der Art, die im Dunkeln leuchtet, mit Khol umrandete Augen, riesige goldene Kreolen, die an den Ohren baumelten, und ein wahrhaft monumentaler Busen, ein großer Teil sichtbar, der Rest bemüht, einem orangefarbenen Tanktop zu entkommen, das zwei Nummern zu klein war. Sie blieb am Tisch stehen, die Hände in die Hüften gestemmt, die Augen auf Sam gerichtet. Sie nickte ihm zu, dann sprach sie mit Philippe – eine Flut von Worten, mit atemberaubender Geschwindigkeit und in einem Akzent hervorgesprudelt, der vage Anklänge an die französische Sprache besaß, und mit einem kehligen Girren endend. Philippe lachte. Sophie errötete. Sam hatte kein Wort verstanden.
»Minime findet Sie anziehend«, sagte Philippe, noch immer lachend. »Ich werde Ihnen nicht sagen, was sie vorgeschlagen
hat, aber keine Angst. Solange Sie sich in meiner Gesellschaft befinden, sind Sie sicher.«
Sie bestellten, und Minime nahm sich wesentlich mehr Zeit als erforderlich, um sich hinunterzubeugen und den Pastis vor Sam auf den Tisch zu stellen. Zum ersten Mal in seinem Leben wurden ihm anzügliche Blicke zugeworfen. Ein seltsames Gefühl, aber nicht rundweg unerfreulich.
»Und jetzt hör endlich auf zu lachen«, ermahnte ihn Sophie. »Genug von diesem Unfug. Sam wird dir erzählen, warum wir in Marseille sind.«
Von dem Raub in Los Angeles bis zur Entdeckung von Florian Vials Geschäftskarte in Bordeaux spulte Sam sämtliche Fakten ab, die Philippe seiner Ansicht nach kennen sollte. Der Hüne hörte aufmerksam zu, stellte gelegentlich eine Frage und machte sich von Zeit zu Zeit Notizen. Als Sam fertig war, saß Philippe ein paar Minuten schweigend da und klopfte mit dem Kugelschreiber auf sein Notizbuch.
» Bon. Also, ich kann Ihnen alle Informationen beschaffen, die wir über Reboul haben, und das sind etliche. Doch das reicht nicht, oder?«
Sam schüttelte den Kopf. »Wir müssen persönlich mit ihm sprechen.«
»Wenn er sich in Marseille aufhält, dürfte das kein Problem sein. Einem Interview kann er nie widerstehen. Natürlich müssen Sie mit einer guten Geschichte aufwarten können.«
»Und wir müssen einen Blick in den Keller werfen.«
»Aha. In diesem Fall müssen Sie mit einer sehr guten Geschichte aufwarten können.« Philippe lächelte und klopfte abermals auf sein Notizbuch. »Und da wir gerade von Geschichten sprechen, vielleicht springt für mich auch etwas dabei heraus.« Er zuckte die Schultern. »Man kann nie wissen.«
»Was soll das heißen?«
»Ein Exklusivbericht, mein lieber Sam. Sagen wir, Ihre Ermittlungen fördern etwas Interessantes zutage – einen kleinen Skandal, in den der reichste Mann von Marseille verwickelt ist. Das wäre eine Schlagzeile für die Titelseite, und die würde ich ungern mit einem anderen Journalisten teilen. Verstehen Sie?«
»Keine Sorge, Philippe. Eine Hand wäscht die andere. Sie helfen uns, und im Gegenzug erhalten Sie die Exklusivrechte.« Sam streckte die Hand über den Tisch. »Schlagen Sie ein, und wir sind im Geschäft.«
Die beiden Männer besiegelten die Abmachung per Handschlag, und Philippe stand auf. »Ich muss ins Büro zurück und anfangen, ein Dossier über Roth anzulegen. Wollt ihr zwei noch bleiben?« Er zwinkerte Sam zu. »Ich bin sicher, Minime wird sich Ihrer mit dem größten Vergnügen annehmen.«
»Ich muss mich für meinen Cousin entschuldigen«, warf Sophie ein, erhob sich und schüttelte den Kopf. »Manchmal frage ich mich, ob wir wirklich miteinander verwandt sind.«
Draußen
Weitere Kostenlose Bücher