Ein diebisches Vergnügen
einem anders geformten Handgriff. Einige waren wunderlich – ein Herz, ein Hund, eine französische Flagge, der Schnabel eines Vogels, während andere eine künstlerische Abwandlung der konventionelleren
Modelle verkörperten. Die Karte war in einer Ecke signiert und mit römischen Zahlen datiert.
»Fantastisch«, sagte Sam. »Das würde ein hervorragendes Vorsatzblatt abgeben.«
Sophie, die keine Ahnung hatte, wovon er sprach, nickte. »Gute Idee.«
Sam erklärte dem vor einem Rätsel stehenden Vial, dass manche Bücher – die kunstvollen, teureren Ausgaben – über eine in der Mitte gefalzte, künstlerisch gestaltete Doppelseite verfügen, die den Buchblock vorn und hinten mit dem Buchdeckel verbindet. »Ihre Karte mit all den Namen und Korkenziehern wäre als Vorsatzblatt für ein Weinbuch geradezu prädestiniert«, sagte er. »Sie haben nicht zufälligerweise eine Kopie davon?«
Mit einem abermaligen Zwinkern eilte Vial zu seinem Schreibtisch, öffnete eine der unteren Schubladen und holte eine Schriftrolle hervor, die er vor ihnen auf dem Schreibtisch ausbreitete, damit sie einen Blick darauf werfen konnten. »Diese Karten wurden gefertigt, bevor wir das Original rahmen ließen. Wir pflegen sie als kleines Souvenir an die Freunde von Monsieur Reboul zu verteilen, die zu einer Verkostung in den Weinkeller kommen. Charmant, nicht wahr ?« Er rollte die Karte wieder zusammen und überreichte sie Sophie.
Vial unterbrach ihre Dankesbezeigungen, indem er auf die Uhr blickte und eine Grimasse schnitt. » Peuchère ! Der Vormittag ist wie im Flug vergangen. Ich habe eine Verabredung in Marseille.« Er lotste sie zur Tür seines Büros. »Wenn Sie möchten, dürfen Sie nach dem Mittagessen gerne wiederkommen.«
Er stieg in sein Golfmobil und bedeutete Sophie und Sam, ihm zu folgen. »Stellen Sie sich vor, Sie wären eine Kiste
Wein«, sagte er zu Sam. »Und heute ist Ihr großer Auftritt gekommen, der Abend, an dem Sie die Gäste von Monsieur Reboul so verblüffen, dass sie nicht wissen, wie ihnen geschieht; der Abend, an dem Sie mit wonnevollem Stöhnen genossen werden.« Er ließ das Golfmobil an und zuckelte den Boulevard du Palais entlang.
»Klingt spaßig. Bin ich eine Kiste Rotwein oder Weißwein?«
»Das spielt keine Rolle. Das größte Problem für Sie ist, nach oben in den Speisesaal zu gelangen.« Am Ende des Boulevards angekommen, stellte er das Golfmobil vor der Kellertür ab. »Wie Sie sehen, befindet sich hier eine weitere Tür«, sagte er und stieg aus. Er deutete auf eine niedrige schmale Tür, die in die Wand eingelassen war. Mit der Miene eines Magiers, der nicht ein Kaninchen, sondern gleich zwei aus dem Hut zaubert, öffnete er sie und trat einen Schritt zurück. » Voilà ! Der Flaschenaufzug. Er fährt nach oben, in die hintere Küche. Ohne Turbulenzen. Ohne Schwindelgefühle vom Treppensteigen. Der Wein kommt in bester Verfassung an, entspannt und bereit für sein Rendezvous mit dem Schicksal.«
»In unseren Breiten nennt man das auch Speisenaufzug«, erwiderte Sam.
»Genau«, sagte Vial und ergänzte im Geiste seinen Wortschatz um einen weiteren umgangssprachlichen Ausdruck. »Ein Speisenaufzug.« Er blickte abermals auf die Uhr und zuckte zusammen. »Sagen wir drei Uhr? Ich werde am Lieferanteneingang auf Sie warten. Und ich gebe Ihnen eine Adresse im Alten Hafen, wo Sie gut zu Mittag essen können.«
Sophie und Sam tauschten einen hoffnungsfrohen Blick. »Typisch Marseille?«, fragte Sophie.
»Aber nein, Madame . Eine Sushibar.«
16. Kapitel
S ie beschlossen, auf die Freuden der Sushibar zu verzichten, die sich als dunkles, überfülltes Lokal in einer Seitenstraße entpuppte, um den Sonnenschein und ein Sandwich auf der Terrasse von La Samaritaine zu genießen, vis-àvis vom Alten Hafen. Als eine Karaffe rosé und zwei Schinkenbaguettes auf dem Tisch standen, wurde ihnen nach dem Vormittag im unterirdischen Verlies inmitten von Flaschen langsam wieder warm.
Es war ein lohnender Besuch gewesen. Vial führte, obwohl für Sophies konservativen, in Bordeaux gereiften Geschmack zu sehr auf Effekte bedacht, einen erstklassigen Keller, perfekt geordnet und spinnwebenfrei. Und er war die Hilfsbereitschaft in Person. Doch hatte er, wie beide übereinstimmend feststellten, Anzeichen einer übertriebenen Hilfsbereitschaft an den Tag gelegt. Wie ein dienstbeflissener Kellner, der zu viel des Guten tat, war er ihnen keine Sekunde von der Seite gewichen. Ständig hatte er ihnen über die
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