Ein diebisches Vergnügen
ein Opfer.« Er dachte an Danny Roth, doch es gelang ihm nicht, auch nur ein Quäntchen Mitleid heraufzubeschwören.
Sophie rief Philippe an, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen, und danach genossen sie entspannt den restlichen Wein und einen Kaffee, der ihre Lebensgeister weckte, bis es an der Zeit war, in das Palais du Pharo zurückzukehren. Die Stunde der Entscheidung war gekommen. Am Ende des Nachmittags würden sie wissen, ob sie ihre Zeit verschwendet hatten oder sich auf dem Weg befanden, ein klassisches Langstrecken-Verbrechen aufzuklären, einen Raub sans frontières. Nicht nur astrein in der Ausführung, sondern auf liebenswerte Weise altmodisch, ein Rückfall in die guten alten Zeiten, als das Leben noch einfach war, bevor man sich bei Diebstählen elektronischer Wunderwerke oder der Talente dubioser Rechtsverdreher bediente. Als sie in der Sonne standen und auf ein Taxi warteten, überprüfte Sam noch einmal den Inhalt seiner Taschen: Karte, Kamera, Ersatzbatterie, Notizbuch und die Liste mit den gestohlenen Weinen. Fünf Minuten vor drei. Es konnte losgehen.
»Und wie war das Sushi?« Vial wartete gar nicht erst die Antwort ab, bevor er sie in sein Büro scheuchte. »Ich habe mir den Nachmittag freigenommen und stehe ganz zu Ihrer Verfügung.« Er neigte erwartungsvoll den Kopf, und Sophie nahm die Chance wahr.
»Es gibt viel zu sehen, so unendlich viel, dass es vermutlich am besten wäre, wenn jeder nur den halben Keller in Augenschein nimmt. Ich habe mich für die Weißweine entschieden, aber unter einer Bedingung.« Sie blickte Vial an, und einen Augenblick lang dachte Sam, sie würde gleich mit den Wimpern klimpern. »Da ich aus Bordeaux stamme, bin ich mit den grandiosen Rotweinen hinlänglich vertraut. Doch im Hinblick auf die grandiosen Champagner, die grandiosen Weißen aus der Bourgogne und Sauternes – von denen ich nur die Namen kenne -, klafft bei mir eine Bildungslücke. Und deshalb hatte ich gehofft, dass Sie …« Sie verstummte, den Blick Hilfe suchend auf Vial gerichtet, der instinktiv die Schultern straffte und die Hand hob, um seinen Schnurrbart zu glätten.
»Meine liebe Madame, nichts ist mir lieber, als die bescheidenen Kenntnisse, die ich besitze, mit einer gleichermaßen begeisterten Weinliebhaberin zu teilen.« Er strebte der Tür zu, entschlossen wie ein Mann, der eine Mission zu erfüllen hat. »Ich schlage vor, mit dem Champagner zu beginnen und mit dem Yquem zu enden, wie bei einem zivilisierten Abendessen.« Sam hatte das Gefühl, dass Professor Vial diesen Spruch bei seinen geführten Besichtigungstouren schon oft zum Besten gegeben hatte.
Sie traten über die Schwelle, als Vial plötzlich stehen blieb und sich Sam zuwandte. »Aber ich vergesse meinen zweiten Gast. Sie werden sich nicht einsam fühlen? Oder verirren? Sind Sie sicher?«
»Ich bin im Besitz Ihrer ausgezeichneten Karte, befinde mich in Gesellschaft einer Reihe hervorragender Flaschen, und generell macht es mir nichts aus, allein zu arbeiten. Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen.«
Vial musste nicht lange überredet werden. » Bon. Und nun, liebe Madame Costes, wenn Sie mir bitte folgen wollen, werden wir uns umgehend mit dem Champagner befassen. Sie werden natürlich gehört haben, dass der Champagner von einem Benediktinermönch namens Dom Pérignon, seit 1668 Kellermeister der Abtei Hautvilliers bei Reims, erfunden wurde, der ausgerufen haben soll, als er dieses himmlische Tröpfchen kostete: ›Ich trinke Sterne.‹ Es gibt keine zutreffendere Beschreibung. Pierre Pérignon erreichte ein gutes Alter – siebenundsiebzig, glaube ich, was von den medizinisch wertvollen Eigenschaften des Champagners zeugt. Weniger bekannt dürfte die ungewöhnliche Beziehung des braven Klosterbruders zu einer der benachbarten Klosterschwestern gewesen sein …« Während er mit Sophie davonging, wurde seine Stimme mal lauter, mal leiser, doch sie verstummte nie. Sophie hatte recht gehabt: Vial redete gern, vor allem dann, wenn seine Zuhörerin hübsch war.
Letztlich erforderte Sams Suche weniger Zeit und Mühe als befürchtet. Die Karte half ihm und führte ihn als Erstes in die Rue des Merveilles: 1953er Lafite, 1961er Latour, 1983er Margaux. Alle diese Jahrgänge waren in beeindruckender Menge vorhanden, die Jahreszahl mit Kreide auf kleinen Schiefertafeln vermerkt, die jedes Behältnis oder jedes Fach in den Regalen kennzeichneten. Vial stand ihm jetzt nicht mehr im Weg. Seine Stimme konnte Sam in der
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