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Ein diebisches Vergnügen

Ein diebisches Vergnügen

Titel: Ein diebisches Vergnügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mayle
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– auf die Kälte des Kellers abgestimmt. Um den Hals trug er einen langen schwarzen Schal, mittels der komplizierten französischen Wickeltechnik mehrmals um den Hals geschlungen. Unter dem Jackett war die Andeutung eines pflaumenfarbenen Hemds sichtbar. Sein Haar, lang und straff zurückgekämmt, wies farblich die gleiche Pfeffer-und-Salz-Mischung auf wie sein Bart, den er in Form eines exakten Dreiecks getrimmt hatte. Blassblaue Augen spähten durch eine runde randlose Brille. Die Aura, die ihn umgab, erinnerte an das 19. Jahrhundert: die Belle Époque. Es fehlten nur noch ein überdimensionaler weicher Filzhut und ein Umhang, dann hätte er als Modell für eine Zeichnung von Toulouse-Lautrec dienen können, mit dem Titel: Ein Müßiggänger auf dem Weg zu seiner Mätresse.
    Der Kellermeister beugte sich vor, um Sophie die Hand zu küssen, wobei er ihre Finger mit seinem Schnurrbart streifte. »Enchanté, madame. Enchanté.« Dann wandte er sich Sam zu, ergriff er seine Hand und schüttelte sie heftig. » Très
heureux, monsieur«, sagte er, bevor er einen Schritt zurücktrat und beide Hände hob. »Verzeihen Sie. Ich hatte ganz vergessen, dass Monsieur Reboul mir sagte, Englisch sei Ihnen lieber. Kein Problem. Ich spreche es leidlich.« Seine Augen blitzten, als er Sophie und Sam mit einem strahlenden Lächeln ansah. »Fangen wir an?«
    Vial schritt voran, durch eine endlose Abfolge prunkvoller Gemächer – Vial bezeichnete sie als salons -, bis sie in die riesige Küche gelangten. Im Gegensatz zu den Salons mit ihrem pompösen historischen Dekor – Lüstern, Vergoldungen, Girlanden und Quasten, so weit das Auge reichte -, war die Küche hochmodern: nichts als Edelstahl, polierter Granit und Einbauleuchten. Der einzige Hinweis auf die kulinarischen Sitten und Gebräuche einer untergegangenen Epoche war ein schmiedeeisernes Gestell hoch über dem Herd, das dreißig oder vierzig Kupfertöpfen und Pfannen Unterschlupf bot. Vial deutete auf den kompakten Küchenofen – einen La Cornue, die Krönung der 5-Sterne-Herde, mit genug Kochfeldern, Wärmeplatten, Gas- plus Elektrobacköfen, um ein Festbankett auszurichten – und erklärte mit unüberhörbarer Genugtuung: »Der Küchenchef des Hotels Passédat in Marseille, ein Freund von Monsieur Reboul, ist oft zu Gast. Für eine solche Küche würde er sogar einen Mord begehen.«
    Sie durchquerten eine zweite, weniger glamouröse Kochwerkstatt, gesäumt von Vorratsschränken, Tiefkühltruhen und Geschirrspülern. In der Ecke befanden sich zwei Türen. Vial öffnete die größere der beiden und warf einen raschen Blick über die Schulter. »Die Treppe ist sehr eng. Attention! Wie heißt es so schön: Eile mit Weile.«
    Die Treppe war nicht nur schmal, sondern auch steil, eine Wendeltreppe, die es in sich hatte und vor einer lackierten
Stahltür endete. Vial gab über die PIN-Code-Tastatur mehrere Zahlen in die elektronische Schließanlage ein, und die Tür öffnete sich wie von Zauberhand. Er schaltete das Licht an und trat lächelnd beiseite, um die Reaktion seiner Gäste zu beobachten. Das war offensichtlich ein Augenblick, den er genoss.
    Sophie und Sam blieben wie angewurzelt auf der Schwelle stehen, sprachlos bei dem Anblick, der sich ihnen bot. Vor ihnen erstreckte sich ein breiter, gut zweihundert Meter langer und mit großen Steinplatten ausgelegter unterirdischer Gang, der sich kaum merklich abwärts neigte. Die Kellerdecke bestand aus einer Reihe himmelan strebender, anmutig geschwungener Gewölbe aus alten Mauersteinen, die im Lauf der Zeit eine verstaubte blassrosa Färbung angenommen hatten. Zu beiden Seiten gingen schmalere Gänge ab, deren Eingang durch viereckige kopfhohe Säulen gekennzeichnet war. Links neben der Tür, gegen ein Fass gelehnt, stand Vials Fahrrad, ein Solex älteren Datums (mit Hilfsmotor an der Hinterachse). Die Luft roch, wie die Luft in einem Keller riechen sollte: leicht feucht, leicht schimmelig.
    Vial war der Erste, der das Schweigen brach. »Nun ? Was sagen Sie dazu? Würde dieser Keller in Ihr Buch passen?« Lächelnd strich er mit der Rückseite des Zeigefingers über seinen Schnurrbart, im vollen Bewusstsein, dass er gleich ein Kompliment erhalten würde.
    »Ich bin tief beeindruckt«, erwiderte Sophie. »Nicht einmal in Bordeaux würde man einen Weinkeller dieser Größenordnung finden, zumindest nicht in privater Hand. Traumhaft, Sam, finden Sie nicht?«
    »Perfekt. Genau das Richtige für unser Buch.« Er grinste Vial an.

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