Ein diplomatischer Zwischenfall
sittsamer, pedantischer junger Mann, übertrieben sanftmütig – der Typ, der systematisch drangsaliert werden kann und auch wird. Man konnte ganz sicher sein, dass er seinen Groll immer hinunterschlucken würde.
»Lady Astwell hat Sie natürlich kommen lassen«, sagte der Sekretär. »Sie hat jedenfalls von dieser Absicht gesprochen. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
Er war höflich, ohne überschwänglich zu sein. Poirot nahm Platz und fragte mit sanfter Stimme:
»Hat Lady Astwell mit Ihnen über ihre Ansichten und Verdächtigungen gesprochen?«
Owen Trefusis lächelte ein wenig. »Was das angeht, so glaube ich, sie verdächtigt mich. Lächerlich natürlich, aber es lässt sich nicht ändern. Seit jenem Abend hat sie kein freundliches Wort mit mir gesprochen, und wenn wir uns irgendwo im Hause begegnen, weicht sie ängstlich vor mir zurück.«
Sein Benehmen war ganz natürlich. Er schien mehr amüsiert als zornig zu sein. Poirot nickte mit gewinnender Offenheit.
»Unter uns gesagt«, erklärte er, »hat sie mir das auch erzählt. Ich habe nicht mit ihr darüber diskutiert – habe es mir längst zur Regel gemacht, mich niemals mit sehr rechthaberischen Damen in eine Diskussion einzulassen. Das ist Zeitverschwendung, nicht wahr?«
»Oh, ganz und gar.«
»Ich sage: ja, Mylady – selbstverständlich, Mylady – préc i sément, Mylady. Belanglose Worte, aber sie wirken kolossal beruhigend. Dann gehe ich vorurteilsfrei an den Fall heran. Es scheint zwar fast unmöglich, dass jemand anders als Mr Leverson als Täter infrage kommen könnte. Doch – nun ja, das Unmögliche ist halt manchmal doch schon eingetreten.«
»Ich habe volles Verständnis für Ihre Position und stehe Ihnen ganz zur Verfügung.«
»Bon«, sagte Poirot, »wir verstehen einander. Nun schildern Sie mir die Ereignisse jener Nacht. Am besten fangen Sie mit dem Abendessen an.«
»Wie Ihnen zweifellos bekannt ist, war Leverson nicht da zum Essen. Er hatte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seinem Onkel gehabt und das Haus verlassen, um im Golfklub zu speisen. Sir Reuben war infolgedessen in sehr schlechter Stimmung.«
»Nicht allzu liebenswürdig, ce Monsieur, was?«, warf Poirot als leisen Wink dazwischen.
Trefusis lachte.
»Ein Brausekopf, kann ich Ihnen nur sagen! Nicht umsonst habe ich neun Jahre für ihn gearbeitet. Ich kenne ihn von innen und von außen. Es war außerordentlich schlecht mit ihm umzugehen, Monsieur Poirot. Er bekam oft kindische Wutanfälle und beschimpfte jeden, der ihm in die Quere kam. Ich hatte mich mittlerweile ja daran gewöhnt und machte mir schon gar nichts mehr daraus, wenn er mich abkanzelte. Im Grunde genommen war er kein schlechter Mensch, aber er führte sich manchmal höchst lächerlich auf und konnte einen zur Verzweiflung bringen. Das Beste war, ihm nie zu widersprechen.«
»Waren die anderen in dieser Hinsicht auch so weise wie Sie?«
Trefusis zuckte die Achseln.
»Lady Astwell hat sich ganz gern mal mit Sir Reuben gezankt. Sie hat sich auch nichts gefallen lassen und ist ihm keine Antwort schuldig geblieben. Hinterher haben sie sich immer schnell wieder ausgesöhnt. Sir Reuben hat sie wirklich sehr gern gehabt.«
»Haben die beiden sich am letzten Abend gestritten?«
Der Sekretär sah ihn von der Seite an und sagte nach kurzem Zaudern:
»Ich glaub, ja. Weshalb fragen Sie?«
»Nur so ein Gedanke – weiter nichts.«
»Ich kann es natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen«, erklärte der Sekretär, »aber es sah so aus, als ob ein Gewitter aufziehe.«
Poirot verfolgte das Thema nicht weiter.
»Wer war sonst noch beim Essen?«
»Miss Margrave, Mr Victor Astwell und ich.«
»Und nachher?«
»Nachher gingen wir in den Salon. Sir Reuben begleitete uns nicht. Etwa zehn Minuten später erschien er auf der Bildfläche und kanzelte mich gehörig ab. Eine Bagatelle wegen eines Briefes. Ich ging mit ihm ins Turmzimmer und brachte die Sache in Ordnung. Mr Victor Astwell kam dann hinzu und sagte, er habe etwas mit seinem Bruder zu besprechen. Also ging ich wieder hinunter zu den beiden Damen.
Etwa eine Viertelstunde später hörte ich Sir Reubens Schelle heftig klingeln, und Parsons richtete mir aus, ich möchte sofort zu Sir Reuben kommen. Als ich ins Zimmer trat, kam Victor Astwell gerade heraus und hat mich beinahe noch umgerannt. Offenbar war etwas Aufregendes passiert. Er ist auch ein ziemlicher Hitzkopf. Ich glaube, er hat mich gar nicht mal gesehen.«
»Hat Sir Reuben etwas
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