Ein diplomatischer Zwischenfall
Benedict Farley sagte: »Ich führe das aus, was ich in Wirklichkeit zu tun wü n sche. Ich mache meinem Dasein ein Ende.«
Er sagte:
»Ist Ihnen je der Gedanke gekommen, dass Ihr Mann die Versuchung spürte, sich das Leben zu nehmen?«
»Nein – das heißt, manchmal war er sehr merkwürdig…«
Joanna Farleys Stimme ertönte plötzlich, klar und verächtlich.
»Vater hätte sich niemals das Leben genommen. Er war viel zu sehr auf sein Wohlergehen bedacht.«
Dr. Stillingfleet fügte hinzu:
»Wissen Sie, Miss Farley, die Menschen, die immer mit Selbstmord drohen, begehen diese Tat gewöhnlich nicht. Daher erscheint mancher Selbstmord so unbegreiflich.«
Poirot erhob sich.
»Ist es gestattet«, fragte er, »dass ich den Raum sehe, wo die Tragödie stattfand?«
»Gewiss. Dr. Stillingfleet wird Sie vielleicht begleiten.«
Der Arzt erhob sich und ging mit Poirot nach oben.
Benedict Farleys Zimmer war bedeutend größer als das des Sekretärs nebenan. Es war luxuriös ausgestattet mit tiefen Ledersesseln, einem dicken Veloursteppich und einem prachtvollen, riesigen Schreibtisch.
Poirot trat hinter den Schreibtisch, wo gerade vor dem Fenster ein dunkler Fleck auf dem Teppich zu sehen war. In Gedanken hörte er den Millionär sagen: »Achtundzwa n zig Minuten nach drei öffne ich die zweite Schublade rechts in me i nem Schreibtisch, nehme den Revolver heraus, den ich dort liegen habe, lade ihn und trete ans Fenster. Und dann – und dann e r schieße ich mich.«
Poirot nickte langsam vor sich hin und sagte:
»Stand das Fenster offen, wie jetzt?«
»Ja. Aber niemand hätte auf diese Weise eindringen können.«
Poirot blickte hinaus. Es war nichts zu sehen: keine Fensterbank, kein Vorsprung, keine Dachrinne. Nicht einmal eine Katze hätte sich hereinschleichen können. Gegenüber erhob sich die glatte Wand des Fabrikgebäudes – eine blinde Wand ohne Fenster.
»Seltsam«, meinte Stillingfleet, »dass ein reicher Mann sich einen Raum mit solcher Aussicht als Arbeitszimmer gewählt hatte. Es ist ja, als ob man auf eine Gefängniswand blickte.«
»Ja«, stimmte ihm Poirot zu, während er den Kopf zurückzog und auf die öde Backsteinfläche starrte. »Ich glaube, dass die Wand eine wichtige Rolle spielt.«
»Meinen Sie – vom psychologischen Standpunkt aus?«
Poirot war inzwischen an den Schreibtisch getreten. Scheinbar müßig nahm er eine so genannte Faulenzerzange in die Hand. Er presste die Griffe zusammen, und die Zange schoss in ihrer ganzen Länge heraus. Sorgfältig hob er damit ein abgebranntes Streichholz vom Boden, das in einiger Entfernung neben einem Sessel lag, und beförderte es geschickt in den Papierkorb.
»Eine geistreiche Erfindung«, murmelte Hercule Poirot und legte die Zange wieder säuberlich auf den Schreibtisch. Dann setzte er hinzu. »Wo waren Mrs Farley und Miss Farley zur Zeit des – Todes?«
»Mrs Farley ruhte in ihrem Zimmer, das im nächsten Stockwerk liegt, und Miss Farley malte in ihrem Atelier ganz oben im Haus.«
Hercule Poirot trommelte eine Zeit lang mit den Fingern auf den Tisch. Dann sagte er:
»Ich möchte gern mit Miss Farley sprechen. Würden Sie sie bitten, für einen Augenblick hierher zu kommen?«
Stillingfleet blickte ihn neugierig an und verließ dann das Zimmer. Bald darauf öffnete sich die Tür, und Joanna Farley kam herein.
»Sie haben hoffentlich nichts dagegen, Mademoiselle, wenn ich ein paar Fragen an Sie richte?«
Sie schenkte ihm einen kühlen Blick.
»Bitte, fragen Sie, was Sie wollen.«
»Haben Sie gewusst, dass Ihr Vater einen Revolver in seinem Schreibtisch aufbewahrte?«
»Nein.«
»Wo waren Sie und Ihre Mutter – oder vielmehr Ihre Stiefmutter stimmt’s?«
»Ja, Louise ist die zweite Frau meines Vaters. Sie ist nur acht Jahre älter als ich. Was wollten Sie noch sagen?«
»Wo waren Sie und Ihre Stiefmutter am Donnerstagabend in der vergangenen Woche?«
Sie überlegte eine Weile. »Donnerstag? Einen Augenblick. Ach ja, wir waren im Theater.«
»Und Ihr Vater hatte keine Lust, sich Ihnen anzuschließen?«
»Mein Vater ging nie ins Theater.«
»Womit befasste er sich abends gewöhnlich?«
»Er saß hier in seinem Zimmer und las.«
»Er war wohl nicht sehr gesellig, wie?«
Joanna Farley blickte ihm fest in die Augen.
»Mein Vater«, erklärte sie, »hatte ein seltsames Wesen. Niemand, der in enger Gemeinschaft mit ihm lebte, konnte ihn irgendwie gern haben.«
»Das, Mademoiselle, ist ein sehr offenes Zugeständnis.«
»Ich
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