Ein diskreter Held
Klopfen an der Tür des Arbeitszimmers unterbrach sie. Einer der Flügel ging auf, und herein schaute das besorgte Gesicht von Justiniana.
»Was glaubst du, warum ich die Tür geschlossen habe?«, stoppte sie Rigoberto, eine warnende Hand in der Luft. »Siehst du nicht, dass Fonchito und ich beschäftigt sind?«
»Aber sie sind da, Señor«, sagte das Dienstmädchen. »Sie stehen in der Tür, und obwohl ich ihnen gesagt habe, dass Sie beschäftigt sind, wollen sie herein.«
»Sie?«, erschrak Rigoberto. »Die Zwillinge?«
»Ich wusste nicht, was ich noch tun konnte«, sagte Justiniana ganz leise und fuchtelte mit den Händen. »Sie bitten vielmals um Entschuldigung. Sie sagen, es ist sehr dringend, nur für ein paar Minuten. Was soll ich ihnen sagen, Señor?«
»Schon gut, führ sie ins Wohnzimmer.« Rigoberto gab sich geschlagen. »Und du und Lucrecia, ihr passt auf, falls etwas passiert und wir die Polizei rufen müssen.«
Als Justiniana gegangen war, nahm er Fonchito bei den Armen und schaute ihm lange in die Augen. Er sah ihn liebevoll an, doch aus seinen stockenden Worten sprach auch Beklommenheit:
»Foncho, Fonchito, mein lieber Junge, ich bitte dich, ich flehe dich an. Um alles in der Welt, sag mir, dass das, was du mir erzählt hast, nicht wahr ist. Dass du es erfunden hast. Dass es nicht geschehen ist. Sag mir, dass es Edilberto Torres nicht gibt, und du machst mich zum glücklichsten Menschen auf Erden.«
Er sah, wie das Gesicht des Jungen einfiel, wie er sich auf die Lippen biss, bis sie violett anliefen.
»Okay, Papa«, hörte er ihn sagen, in einem Tonfall, der nicht mehr der eines Fünfzehnjährigen war, sondern eines Erwachsenen. »Edilberto Torres gibt es nicht. Ich habe ihn erfunden. Ich werde dir nie wieder von ihm erzählen. Kann ich jetzt gehen?«
Rigoberto nickte. Als er sah, wie Fonchito sein Arbeitszimmer verließ, merkte er, dass seine Hände zitterten. Das Herz war ihm gefroren. Er liebte seinen Sohn sehr, aber sosehr er sich bemühte, er würde ihn nie verstehen, für ihn blieb er ein unergründliches Rätsel. Bevor er den Hyänen entgegentrat, ging er ins Bad und netzte sich das Gesicht. Nie würde er herausfinden aus diesem Labyrinth mit seinen immer neuen Gängen, Ebenen, Windungen und Schleifen. War dies das Leben? Ein Labyrinth, das einen, egal was man machte, unausweichlich in die Fänge des Minotaurus trieb?
Im Wohnzimmer standen Ismael Carreras Söhne und warteten. Beide trugen Anzug und Krawatte, wie üblich. Doch sieschienen nicht auf dem Kriegspfad zu sein. Ob diese Haltung, die von Opfern und Geschlagenen, ehrlich war oder nur eine neue Taktik? Was führten sie im Schilde? Beide grüßten ihn bewegt, klopften ihm auf die Schulter und bemühten sich um zerknirschte Mienen. Schlaks entschuldigte sich als Erster:
»Ich habe mich danebenbenommen, als wir uns das letzte Mal gesehen haben, Onkel«, sagte er mit betrübter Stimme und rieb sich die Hände. »Ich habe die Geduld verloren, habe Dummheiten gesagt, dich beleidigt. Ich war erschüttert, halb verrückt. Bitte verzeih mir. Ich lebe wie umnebelt, schlafe seit Wochen nicht, nehme Tabletten für die Nerven. Mein Leben ist eine Katastrophe geworden, Onkel Rigoberto. Ich schwöre dir, wir werden nie wieder respektlos zu dir sein.«
»Wir alle sind wie umnebelt, kein Wunder«, sagte Don Rigoberto. »Was zurzeit passiert, bringt uns um den Verstand. Ich trage es euch nicht nach. Setzt euch und wir unterhalten uns. Was verschafft mir die Ehre?«
»Wir können nicht mehr, Onkel«, kam Miki gleich auf den Punkt. Er hatte immer den Eindruck des Ernsthafteren und Vernünftigeren der beiden erweckt, zumindest wenn es ans Sprechen ging. »Das Leben ist für uns unerträglich geworden. Ich nehme an, du weißt es. Die Polizei denkt, wir hätten Armida entführt oder getötet. Sie haben uns verhört, stellen die unglaublichsten Fragen, Tag und Nacht folgen uns Spitzel. Sie wollen Schmiergeld, und wenn wir ihnen nichts geben, kommen sie einfach herein und durchsuchen unsere Wohnungen. Als wären wir gewöhnliche Kriminelle, nicht zu fassen.«
»Und die Zeitungen, das Fernsehen, Onkel!«, rief Schlaks. »Hast du gesehen, wie sie uns mit Dreck bewerfen? Jeden Tag und jeden Abend, auf allen Kanälen. Wir wären Vergewaltiger, Drogensüchtige, kein Wunder, dass wir verantwortlich wären für das Verschwinden dieser scheiß Chola. Das ist doch ungerecht, Onkel!«
»Wenn du Armida beleidigst, die jetzt, ob es dir passt oder nicht,
Weitere Kostenlose Bücher