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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Leben nach dem Tod, die geistige Welt, Transzendenz. Da du die Bibel liest, weiß ich, dass du dich für solche Dinge interessierst, Fonchito. Und ich weiß auch, dass du etwas enttäuscht bist von deiner Lektüre des Alten Testaments. Dass du etwas anderes erwartet hast.«
    »Woher wollen Sie das wissen, Señor?«
    »Ein Vögelchen hat es mir gezwitschert.« Edilberto Torres lächelte, aber in seinem Lächeln war keine Freude, nur diese verborgene Unruhe. »Gib nichts auf mich, ich scherze nur. Ich wollte dir nur sagen, dass es am Anfang allen so geht, wenn sie das Alte Testament lesen. Lies weiter, verlier nicht den Mut. Du wirst sehen, dein Eindruck wird sich bald ändern.«
    »Woher wusste er, dass du enttäuscht bist von deiner Bibellektüre?« Wieder fuhr Rigoberto von seinem Schreibtisch auf. »Stimmt das, Fonchito? Bist du enttäuscht?«
    »Ich weiß nicht, ob enttäuscht«, sagte Fonchito ein wenig verlegen. »Alles ist so voller Gewalt. Angefangen bei Gott, bei Jahwe. Ich hatte ihn mir nicht so grausam vorgestellt. Nie hätte ich gedacht, dass er dauernd irgendwen verflucht, dass er die Ehebrecherinnen steinigen lässt, dass er befiehlt, diejenigen zu töten, die gegen die Riten verstoßen. Dass er den Feinden der Hebräer die Vorhaut abschneiden lässt. Ich wusste nicht mal, was das genau ist. Bis ich die Bibel gelesen habe, Papa.«
    »Es waren nun mal barbarische Zeiten, Fonchito«, sagte Edilberto Torres. Er sprach mit vielen Pausen und immer bekümmerter Miene. »All das ist vor Tausenden von Jahren geschehen, zu Zeiten des Götzendienstes und des Kannibalismus. Eine Welt, in der allenthalben die Tyrannei herrschte, der Fanatismus. Außerdem darf man nicht wörtlich nehmen, was in der Bibel steht. Vieles davon ist symbolisch, poetisch, überzogen. Sobald der furchtbare Jahwe verschwindet und Jesus Christus erscheint, wird Gott sanft, mitleidig und barmherzig, wirst schon sehen. Aber dafür musst du bis zum Neuen Testament kommen. Geduld und dranbleiben, Fonchito.«
    »Er hat mir noch einmal gesagt, dass er dich sehen möchte, Papa. Egal wann und wo. Er würde sich freuen, wenn ihr befreundet wärt, weil ihr gleich alt seid.«
    »Das Liedchen habe ich doch schon mal gehört. Als dir dieses Gespenst zuletzt im Sammeltaxi erschienen ist«, spöttelte Rigoberto. »Wollte er mir nicht bei meinen Problemen helfen? Und was war? Weg ist er! Diesmal wird es dasselbe sein. Ehrlich gesagt, ich verstehe dich nicht, Junge. Magst du nun die Bibellektüre mit deinen Freunden oder magst du sie nicht?«
    »Ich weiß nicht, ob wir es richtig machen«, wich der Junge aus. »Manchmal gefällt es uns ziemlich gut, aber andere Male ist es reichlich verworren mit all den Völkern, mit denen die Juden sich in der Wüste schlagen. Kein Mensch kann sich diese ganzen exotischen Namen merken. Am meisten interessieren uns die Geschichten, die erzählt werden. Die scheinen nichts mit Religion zu tun haben, sie sind mehr wie Abenteuer aus Tausendundeiner Nacht. Schecke Sheridan, einer meiner Freunde, sagte neulich, diese Art, die Bibel zu lesen, wäre nicht gut, davon hätten wir nichts. Es wäre besser, wir hätten einen Lehrer. Einen Priester zum Beispiel. Was denken Sie, Señor?«
    »Ziemlich gut«, sagte Rigoberto, nachdem er einen Bissen von seinem Eintopf gekostet hatte. »Wirklich lecker, die gebratenen Bananenscheiben. Aber ich fürchte, es wird uns schwer im Magen liegen bei der Hitze.«
    Nach dem Hauptgericht bestellten sie ein Eis und wollten gerade einen ersten Löffel nehmen, als sie sahen, wie eine Frau ins Restaurant trat. Von der Tür aus warf sie einen suchenden Blick durch den Raum. Sie war nicht mehr jung, aber sie hatte etwas Frisches, Blühendes, einen Schuss Jugendlichkeit noch in ihrem fröhlichen Pummelgesicht, den hervorstehenden Augen und diesem Mund mit den stark geschminkten, vollen Lippen. Anmutig klimperte sie mit ihren falschen Wimpern, die modischen runden Ohrringe hüpften, das weiße Kleid mit Blümchenmuster saß hauteng, und ihre üppigen Hüften hinderten sie nicht daran, sich geschmeidig zu bewegen. Nachdem ihr Blick über die wenigen besetzten Tische geflogen war, gingsie entschlossen auf jenen zu, an dem die drei saßen. »Señor Rigoberto, nicht wahr?«, sagte sie lächelnd. Sie gab allen die Hand und setzte sich auf den freien Stuhl.
    »Ich bin Josefita, die Sekretärin von Señor Felícito Yanaqué«, stellte sie sich vor. »Willkommen in der Heimat des Tonderos und des che guá . Sind Sie

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