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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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die Mabel in diesen acht Jahren in ihm geweckt hatte, verflüchtigt.
    »Nichts wäre passiert, wenn du mir, als Miguel sich an dich herangemacht hat, davon erzählt hättest.« Wieder war ihm, als geschähe das alles gar nicht, als befände er sich nicht in diesem Haus, als wäre auch Mabel nicht dort, neben ihm, weinend oder es vorgaukelnd; als sagte er nicht, was er sagte. »Wir beide hätten uns viel Kummer erspart, Mabel.«
    »Ich weiß, ja, ich war feige und dumm«, sagte sie. »Glaubst du, ich habe es nicht bereut? Ich hatte Angst vor ihm, wusste nicht, wie ich mich von ihm befreien sollte. Bezahle ich etwa nicht dafür? Du weißt nicht, was es heißt, dieses Frauengefängnis in Sullana. Auch wenn es nur ein paar Tage waren. Für den Rest meines Lebens werde ich es mit mir schleppen.«
    »Dann hast du ja noch etwas vor dir«, stichelte Felícito, weiterhin ganz ruhig. »Du bist noch jung und hast genügend Zeit, ein neues Leben zu beginnen. Für mich gilt das nicht, klar.«
    »Ich werde dich immer lieben, Felícito. Auch wenn du es nicht glaubst.«
    Er kicherte spöttisch.
    »Wo du mir das angetan hast in Liebe, was wäre wohl gewesen, hättest du mich gehasst, Mabel.«
    Und während er dies sagte, dachte er, dass es aus einem jener Lieder von Cecilia Barraza hätte stammen können, die ihm so gefielen.
    »Lass es mich erklären, Felícito«, flehte sie, das Gesicht noch immer unter ihren Händen verborgen. »Nicht damit du mir verzeihst, nicht damit alles wieder wird wie vorher. Nur damit du weißt, dass es nicht so war, wie du glaubst.«
    »Du brauchst mir nichts zu erklären, Mabel«, sagte er, und bei aller Ernüchterung klang es fast freundschaftlich. »Es ist passiert, was passieren musste. Ich wusste immer, dass es passieren würde, früher oder später. Irgendwann wärst du diesen so viele Jahre älteren Mann leid, würdest dich in einen jüngeren verlieben. So ist das nun mal im Leben.«
    Sie rutschte im Sessel hin und her.
    »Ich schwöre dir bei meiner Mutter, es war nicht, wie du glaubst«, schluchzte sie. »Lass mich dir wenigstens erzählen, wie alles war.«
    »Nur hätte ich mir nie vorstellen können, dass dieser Jüngere Miguel wäre.« Er räusperte sich. »Und natürlich erst recht nicht die Sache mit den Spinnenbriefen. Aber das ist vorbei. Am besten gehe ich jetzt. Wir haben die praktischen Dinge geregelt, nichts ist offengeblieben. Ich möchte nicht, dass es in einem Streit endet. Hier hast du meinen Hausschlüssel.«
    Er legte ihn auf den Couchtisch, neben das Pappflämmchen und die peruanische Fahne, und stand auf. Sie hielt immer noch das Gesicht zwischen den Händen und weinte.
    »Bleiben wir wenigstens Freunde«, hörte er sie sagen.
    »Wir beide können keine Freunde sein, das weißt du sehr gut«, antwortete er, ohne sie noch einmal anzuschauen. »Viel Glück, Mabel.«
    Er ging zur Haustür, öffnete sie, trat hinaus und schloss sielangsam hinter sich. In der gleißenden Sonne musste er blinzeln. Und während er unter den Staubwirbeln und dem Lärm aus den Radios voranging, zwischen den zerlumpten Kindern und den räudigen Hunden, dachte er, dass er dieses staubige Gässchen in Castilla nie wieder betreten und ohne Zweifel auch Mabel nicht wiedersehen würde. Wenn der Zufall es wollte, dass sie sich irgendwo im Zentrum begegneten, würde er so tun, als hätte er sie nicht gesehen, und sie täte dasselbe. Wie zwei Unbekannte würden sie aneinander vorbeigehen. Auch dachte er, ohne jede Trauer oder Bitterkeit, dass er, selbst wenn er als Mann noch etwas taugte, nie wieder mit einer Frau schlafen würde. Ihm war nicht mehr danach, sich eine andere Geliebte zu suchen, auch nicht, abends in den Puff zu gehen. Und die Vorstellung, nach all den Jahren noch einmal mit Gertrudis zu schlafen, kam ihm nicht einmal in den Sinn. Vielleicht müsste er sich ab und zu einen runterholen, so wie in seiner Jugend. Doch in welche Richtung auch immer die Zukunft wies, weder für die Lust noch für die Liebe gäbe es einen Platz in seinem Leben, das war gewiss. Er bedauerte es nicht, verzweifelte nicht. So war das Leben nun mal, und er hatte, seit er als kleiner Junge ohne Schuhe durch Yapatera und Chulucanas lief, gelernt, es zu nehmen, wie es kam.
    Unmerklich hatten seine Schritte ihn zu dem kleinen Laden für Kräuter, Kurzwaren und Heilige, Christusse und Jungfrauen seiner Freundin Adelaida geführt. An der Tür stand, in ihrem knöchellangen leinenen Hemdkleid, die Wahrsagerin, untersetzt,

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