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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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die Schulter und zog sie an sich. Er spürte, wie sie bebte, und es tat ihm leid. Er küsste sie auf den Kopf. »Du weißt nicht, wie sehr ich es bedaure, dass du meinetwegen in die Sache hineingezogen wirst, Mabelita. Pass gut auf dich auf, Liebes. Bevor du die Tür öffnest, schau erst durchs Gitterchen. Und bis das geklärt ist, geh am besten abends nicht allein hinaus. Weiß der Himmel, wozu diese Kerle imstande sind.«
    Er küsste sie noch einmal auf den Kopf und flüsterte ihr, bevor er ging, ins Ohr: »Beim Andenken meines Vaters, dem Heiligsten, das ich habe, schwöre ich dir, dass niemand dir etwas antun wird, mein lieber Schatz.«
    Inzwischen war es dunkel geworden. Die tranigen Lichter in der Umgebung beleuchteten kaum die aufgerissenen Bürgersteige. Er hörte Hundegebell und eine Art Musik, als würde jemand zwanghaft eine Gitarre stimmen. Derselbe Ton, immer wieder. Auch wenn er stolperte, beeilte er sich. Fast im Laufschritt überquerte er die schmale Hängebrücke, die jetzt nur noch eine für Fußgänger war, und musste daran denken, dass ihm, als er noch klein war, dieses nächtliche Glitzern auf dem Wasser des Río Piura Angst gemacht hatte, es erinnerte ihn an eine ganze Welt voller Teufel und Geister auf dem Grund des Flusses. Den Gruß eines Paares, das ihm entgegenkam, erwiderte er nicht. Er brauchte fast eine halbe Stunde, bis er beimRevier an der Avenida Sánchez Cerro ankam. Er schwitzte, vor Aufregung konnte er kaum sprechen.
    »Um diese Uhrzeit kein Publikumsverkehr«, sagte ihm der junge Polizist am Eingang. »Außer es handelt sich um etwas sehr Dringendes, Señor.«
    »Es ist dringend, mehr als dringend«, haspelte Felícito. »Kann ich mit Sergeant Lituma sprechen?«
    »Wen darf ich melden?«
    »Felícito Yanaqué, von Transportes Narihualá. Ich war vor ein paar Tagen hier, um Anzeige zu erstatten. Sagen Sie ihm, es ist etwas Schlimmes passiert.«
    Während er vor der Tür wartete, hörte er Stimmen, die irgendwo im Gebäude fluchten. Er sah, wie ein abnehmender Mond über den Dächern erschien. Sein ganzer Körper glühte, als verzehrte ihn das Fieber. Er musste daran denken, wie sein Vater gezittert hatte, als er das Tertianafieber bekam, drüben in Chulucanas, und wie er es mit Schwitzkuren heilte, eingepackt in einen Haufen Sackleinen. Aber es war nicht Fieber, sondern Wut, weshalb er so zitterte. Schließlich kam der milchbärtige Polizist zurück und ließ ihn herein. Das Licht im Innern war so spärlich und trist wie in den Straßen von Castilla. Diesmal führte ihn der Polizist nicht in das winzige Kabuff von Sergeant Lituma, sondern in ein geräumigeres Büro. Dort saß der Sergeant mit einem Offizier – die drei Litzen auf den Schulterklappen seines Hemds gaben ihn als Hauptmann zu erkennen –, dick, klein und mit Schnurrbart. Der schaute Felícito nicht sehr erfreut an und zeigte nur seine gelben Zähne. Anscheinend hatten sie eine Partie Dame gespielt, und Felícito hatte sie unterbrochen. Er wollte etwas sagen, doch der Hauptmann kam ihm zuvor:
    »Ich kenne Ihren Fall, Herr Yanaqué, der Sergeant hat mich informiert. Ich habe diesen Spinnenbrief gelesen, den man ihnen geschickt hat. Sie werden sich nicht erinnern, aber wir haben uns bei einem Mittagessen im Rotary Club kennengelernt, im Centro Piurano, ist schon ein Weilchen her. Es gab dort gute Algarrobina-Cocktails, glaube ich.«
    Ohne etwas zu sagen, legte Felícito den Brief auf das Damebrett und verrutschte dabei die Spielsteine. Er spürte, wie die Wut ihm in den Kopf stieg und er fast nicht mehr denken konnte.
    »Setzen Sie sich, bevor sie noch einen Infarkt kriegen, Herr Yanaqué«, sagte der Hauptmann belustigt und deutete auf einen Stuhl. Er knabberte an den Spitzen seines Schnurrbarts und hatte etwas Eingebildetes, Herausforderndes. »Ach, da fällt mir ein, Sie haben vergessen, uns guten Abend zu wünschen. Ich bin Hauptmann Silva, der Kommissar, zu Ihren Diensten.«
    »Guten Abend«, stieß Felícito hervor, die Stimme wie abgeschnürt. »Man hat mir einen weiteren Brief geschickt. Ich fordere eine Erklärung, meine Herren von der Polizei.«
    Der Hauptmann las, hielt das Blatt an die Schreibtischlampe. Dann reichte er es dem Sergeanten Lituma und grummelte: »Mist, die Sache wird heiß.«
    »Ich fordere eine Erklärung«, wiederholte Felícito und verschluckte sich fast. »Woher wussten diese Schufte, dass ich auf dem Revier war, um den anonymen Brief anzuzeigen?«
    »Da gibt es viele Möglichkeiten, Herr

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