Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
hatten Gertrudis und ihre Mutter ihn dafür verantwortlich gemacht? Vielleicht weil er ledig war, ein fleißiger, guter Kerl, und weil die Dragonerin sie auf Teufel komm raus unter die Haube bringen wollte. Vielleicht war der wahre Vater von Miguel verheiratet oder so ein dahergelaufener Weißer von zweifelhaftem Ruf. Wann immer die Erinnerung ihm die Stimmung verdarb, ließ er nicht zu, dass jemand es bemerkte, angefangen bei Miguel. Ihm gegenüber tat er stets, als wäre er so sehr sein Sohn wie Tiburcio. Wenn er ihn zur Armee schickte, dann zu seinem eigenen Wohl, denn er geriet schon auf die schiefe Bahn. Nie hatte er den jüngeren Sohn bevorzugt. Der war ihm allerdings wie aus dem Gesicht geschnitten, von Kopf bis Fuß ein Cholo aus Chulucanas, ohne hellhäutige Spuren, weder im Gesicht noch am Leib.
    Gertrudis war eine immer fleißige und selbstlose Frau gewesen, nicht nur in den schwierigen Jahren, auch danach, als Felícito seine Firma Transportes Narihualá eröffnen konnte und die Lage sich besserte. Aber selbst wenn sie jetzt ein schönes Haus hatten, ein Dienstmädchen und sichere Einkünfte, lebte sie noch genauso kärglich wie in den Jahren, als sie arm waren. Nie bat sie ihn um Geld für etwas Persönliches, nur für das Essen und die sonstigen täglichen Ausgaben. Ab und zu musste er darauf drängen, dass sie sich ein Paar Schuhe oder ein neues Kleid kaufte. Aber auch dann lief sie immer in Badelatschen und diesem Kittel herum, der aussah wie eine Soutane. Wann war sie so religiös geworden? Am Anfang war sie es nicht gewesen. Ihm kam es vor, als hätte sich Gertrudis mit den Jahren in eine Art Möbelstück verwandelt, als hätte sie aufgehört, ein lebendiger Mensch zu sein. Ganze Tage vergingen, ohne dass sie, abgesehen von Guten Morgen und Gute Nacht, ein Wort wechselten. Seine Frau hatte keine Freundinnen, empfing keinen Besuch und besuchte niemanden, nicht einmal ihre Kinder, auch wenn die mal länger nicht zu ihr kamen. Irgendwann standen Tiburcio und Miguel dann vor der Tür, zuverlässig zu Geburtstagen und zu Weihnachten, und sie war immer sehr liebevoll mit ihnen, aber abgesehen von diesen Gelegenheiten schien sie sich auch für ihre Kinder kaum zu interessieren. Ein paarmal hatte Felícito ihr vorgeschlagen, insKino zu gehen, am Fluss entlang über den Malecón zu spazieren oder sonntags das Platzkonzert auf der Plaza de Armas zu hören, nach der Messe um zwölf. Sie willigte folgsam ein, aber es waren Ausflüge, bei denen sie kaum ein Wort wechselten, und er hatte den Eindruck, Gertrudis warte nur darauf, wieder nach Hause zu kommen, sich im Hof in ihren Schaukelstuhl zu setzen, nahe dem Radio oder dem Fernseher, wo sie immer nach irgendeiner frommen Sendung suchte. Soweit Felícito sich erinnerte, hatte er niemals einen Streit oder auch nur ein Geplänkel mit dieser Frau gehabt, die sich seinem Willen unterwürfigst fügte.
    Er hatte sich ins Wohnzimmer gesetzt und hörte die Nachrichten. Verbrechen, Überfälle, Entführungen, das Übliche. Bei einer der Meldungen sträubten sich ihm die Haare. Der Sprecher berichtete, dass sich in Lima unter den Dieben eine neue Art verbreitete, Autos zu überfallen. An einer Kreuzung warteten sie, bis die Ampel rot wurde, und wenn in dem haltenden Wagen eine Frau saß, warfen sie eine Ratte hinein. Vor Angst und Ekel ließ die Fahrerin das Lenkrad los und sprang schreiend hinaus. Die Diebe schnappten sich dann seelenruhig den Wagen. Lebende Ratten auf Frauen, der Gipfel der Schamlosigkeit! Das Fernsehen verdarb die Leute nur mit all dem Schmutz und Blut. Normalerweise legte er, statt Nachrichten zu hören, eine CD von Cecilia Barraza ein. Doch jetzt verfolgte er beklommen den Kommentar dieses Moderators von 24 Horas , der sagte, die Kriminalität steige im ganzen Land. Das braucht mir keiner zu erzählen, dachte er.
    Gegen elf ging er ins Bett, und auch wenn er, gewiss wegen der Aufregung des Tages, sofort einschlief, war er um zwei wieder wach. Und konnte kaum mehr ein Auge zutun. Er hatte Angstzustände, ein Gefühl von Katastrophe und vor allem Bitterkeit, weil er sich ohnmächtig dem gegenübersah, was mit ihm geschah. Sobald er einnickte, tosten in seinem Kopf Bilder von Krankheiten, Unfällen und Unglücken. Durch einen Albtraum liefen Spinnen.
    Um sechs Uhr stand er auf. Neben dem Bett, sich im Spiegel anschauend, begann er mit seinen Qigong-Übungen und dachte wie immer an seinen Lehrer, den Krämer Lau. Stehen wie ein Baum, der sich wiegt, vor

Weitere Kostenlose Bücher