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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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einmal sagte er sich, so wie immer, wenn er deprimiert war, wie sehr er sich doch geirrt hatte, als er in seiner Jugend beschloss, nicht auszuwandern, sondern dazubleiben, in Lima, der Schrecklichen, fest davon überzeugt, er könne sein Leben auf eine Art organisieren, dass er, auch wenn er zum Broterwerb viele Stunden am Tag in den Weltenlärm der Peruaner aus der Oberschicht eintauchen musste, tatsächlich einmal in dieser reinen, schönen, hehren, aus erhabenen Dingen geschaffenen Enklave leben würde, erbaut als Alternative zum Joch des Alltags.
    An diesem Abend, nach dem Essen, fragte er Fonchito, ob er müde sei.
    »Nein«, antwortete der. »Wieso fragst du, Papa?«
    »Ich würde mich gerne einen Moment mit dir unterhalten, wenn es dir nichts ausmacht.«
    »Solange es nicht um Edilberto Torres geht, mit Vergnügen«, sagte Fonchito und lächelte schelmisch. »Ich habe ihn nicht wieder gesehen, du kannst also beruhigt sein.«
    »Kein Wort von ihm, versprochen«, und so wie er es als kleiner Junge immer gemacht hatte, kreuzte Rigoberto zwei Finger, küsste sie und schwor: »Bei Gott.«
    »Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen, ich bin nämlich gläubig«, mahnte Lucrecia. »Geht ins Arbeitszimmer. Ich sage Justiniana, sie soll euch den Nachtisch rüberbringen.«
    Während sie das Lúcuma-Eis aßen, spähte Rigoberto zwischen jedem Löffel nach Fonchito. Ihm gegenübersitzend, die Beine übereinandergeschlagen, löffelte der sein Eis langsam und schien eingenommen von einem fernen Gedanken. Er war kein Kind mehr. Seit wann rasierte er sich? Seine Haut war ganz glatt, das Haar verwuschelt. Er trieb nicht viel Sport, auch wenn es so aussah, denn er war schlank und athletisch. Ein wirklich hübscher Junge, die Mädchen mussten ihm zu Füßen liegen. Das sagten alle. Aber sein Sohn schien sich für solche Dinge nicht zu interessieren, er hatte es mehr mit Halluzinationen und religiösen Fragen. War das nun gut oder schlecht? Sähe er es lieber, wenn Fonchito ein ganz normaler Junge wäre? Normal, dachte er und stellte sich seinen Sohn vor, wie er in diesem affigen Stummeljargon der Jugendlichen seiner Generation sprach, sich an den Wochenenden betrank, kiffte und kokste oder in den Diskotheken des Badeorts Asia Ecstasy-Pillen schluckte, bei Kilometer Hundert der Panamericana, wie all die reichen Schnöselchen aus Lima. Ihn schauderte. Tausendmal besser, er sah Gespenster oder den Teufel leibhaftig und schrieb Aufsätze über das Böse.
    »Ich habe gelesen, was du über die Freiheit und das Böse geschrieben hast«, sagte er. »Es lag auf deinem Tisch, da bin ich neugierig geworden. Ich hoffe, es macht dir nichts aus. Es hat mich sehr beeindruckt, wirklich. Gut geschrieben und mit vielen persönlichen Gedanken. Für welches Fach ist es?«
    »Spanisch«, sagte Fonchito wie ungerührt. »Herr Iturriaga hat uns ein freies Thema aufgegeben. Mir ist das eingefallen. Aber es ist nur ein Entwurf. Ich muss noch korrigieren.«
    »Ich war überrascht, ich wusste nicht, dass du dich so für Religion interessierst.«
    »Hältst du den Text für religiös?« Fonchito schaute verwundert. »Wohl eher philosophisch. Na ja, ich weiß nicht, Philosophie und Religion vermischen sich, stimmt schon. Hast du dich nie für Religion interessiert, Papa?«
    »Ich war auf dem La Recoleta, einer katholischen Schule«, sagte Rigoberto. »Danach auf der Katholischen Universität. Ich habe mich sogar eine Zeitlang bei der Katholischen Aktion engagiert, zusammen mit Pepín O’Donovan. Klar habe ich mich als junger Mensch dafür interessiert. Aber irgendwann habe ich den Glauben verloren und nie wiedergefunden. Wahrscheinlich habe ich ihn verloren, als ich anfing zu denken. Als Gläubiger sollte man nicht allzu viel denken.«
    »Das heißt, du bist Atheist. Du glaubst, dass es vor diesem Leben und danach nichts gibt. Das heißt doch, Atheist zu sein, oder?«
    »Jetzt geht’s ans Eingemachte«, rief Rigoberto. »Ich bin kein Atheist, ein Atheist ist auch ein Gläubiger. Er glaubt, dass es Gott nicht gibt, nicht wahr? Ich bin eher Agnostiker, wenn ich denn überhaupt etwas bin. Jemand, der einfach ratlos ist, unfähig, daran zu glauben, dass es Gott gibt oder dass es Gott nicht gibt.«
    »Weder Fisch noch Fleisch.« Fonchito lachte. »Eine sehr bequeme Art, sich vor der Frage zu drücken, Papa.«
    So ein frisches, gesundes Lachen, dachte Rigoberto, er war ein guter Junge. Er steckte in einer Pubertätskrise, litt unter Zweifeln und

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