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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Aber warum bist du dann Jurist geworden? Warum hast du dein ganzes Leben in einer Versicherungsgesellschaft gearbeitet? Du hättest Maler werden sollen,Musiker, was weiß ich. Warum bist du deiner Neigung nicht gefolgt?«
    Rigoberto nickte und überlegte, bevor er antwortete.
    »Aus Feigheit, mein Junge«, murmelte er. »Weil ich nicht an mich selbst geglaubt habe. Ich habe nie geglaubt, dass ich das Talent hätte, ein echter Künstler zu werden. Aber vielleicht war es nur ein Vorwand, um es nicht zu versuchen. Ich habe beschlossen, kein Kunstschaffender zu sein, sondern bloß ein Kunstkonsument, ein Liebhaber der Kultur. Aus Feigheit, das ist die traurige Wahrheit. Jetzt weißt du es. Folge nur nicht meinem Beispiel. Welche Neigung du auch verspürst, folge ihr und mach es nicht wie ich, verrate sie nicht.«
    »Ich hoffe, es hat dich nicht verletzt, Papa. Die Frage wollte ich dir schon lange stellen.«
    »Ich selber stelle sie mir seit vielen Jahren, Fonchito. Du hast mich gezwungen, sie zu beantworten, und dafür bin ich dir dankbar. Du kannst jetzt gehen, gute Nacht.«
    Als er nach dem Gespräch mit Fonchito ins Bett ging, war sein Gemüt etwas aufgehellt. Er erzählte Lucrecia, wie gut es ihm getan habe, seinem Sohn, der ja so vernünftig sei, zuzuhören nach der schlechten Laune und dem ganzen Verdruss des Tages. Den letzten Teil der Unterhaltung verschwieg er jedoch.
    »Es hat mich sehr gefreut, dass er so klar ist, so reif, Lucrecia. Geht in eine Gruppe, um die Bibel zu lesen, stell dir vor. Wie viele in seinem Alter würden das tun? Nur sehr wenige. Hast du die Bibel gelesen? Ich selber nur Teile, muss ich zugeben, und das ist schon Jahre her. Möchtest du nicht, dass wir, so als Spiel, sie auch mal lesen und darüber sprechen? Es ist ein sehr schönes Buch.«
    »Meinerseits mit dem größten Vergnügen, vielleicht funkt es ja und du kehrst zurück zur Kirche«, sagte Lucrecia, und ein paar nachdenkliche Sekunden später: »Ich hoffe, miteinander die Bibel zu lesen spricht nicht dagegen, miteinander zu schlafen, Öhrchen.«
    Als sein spitzbübisches Lachen erklang, strichen seine gierigen Hände schon über ihren Körper.
    »Die Bibel ist das erotischste Buch der Welt«, sagte er, fast nur ein Hauch. »Wirst schon sehen, sobald wir das Hohelied Salomos lesen oder was Samson alles mit Delilah macht und Delilah mit Samson, glaub mir.«

XIII
    »Auch wenn wir Uniform tragen, das ist kein offizieller Besuch«, sagte Hauptmann Silva mit einer so höflichen Verneigung, dass sein Bauch hervorsprang und das Khakihemd knitterte. »Ein Freundschaftsbesuch, Señora.«
    »Klar, sehr gern«, sagte Mabel und hielt ihnen die Tür auf. Sie schaute überrascht und erschrocken, blinzelte. »Bitte, kommen Sie herein.«
    Als der Hauptmann und der Sergeant unversehens erschienen, hatte sie gerade über Felícito Yanaqué nachgedacht und sich ein weiteres Mal gesagt, wie sehr die Liebesbeweise des alten Knaben ihr doch zu Herzen gingen. Immer hatte sie ihn sehr gemocht, oder zumindest hatte sie ihm gegenüber nie, obwohl sie schon seit acht Jahren seine Geliebte war, eine heftige Abneigung gespürt, diesen inneren Widerwillen, der sie in der Vergangenheit immer wieder dazu brachte, von einem Tag auf den anderen Schluss zu machen mit vorübergehenden Geliebten und Gönnern, die ihr mit ihrer Eifersucht, ihren Ansprüchen und Empfindlichkeiten, ihren Launen oder ihrer Erbitterung nur aufs Gemüt schlugen. Einige Trennungen bedeuteten für sie einen herben finanziellen Verlust. Aber sie kam nicht dagegen an. Wenn sie einen Mann leid war, konnte sie nicht weiter mit ihm schlafen. Sie reagierte geradezu allergisch, mit Kopfweh, Schüttelfrost, erinnerte sich an ihren Stiefvater, schaffte es kaum, den Brechreiz zu unterdrücken, wenn sie sich für ihn ausziehen und seinen Wünschen im Bett hingeben musste. Deshalb, sagte sie sich, war sie auch nicht, was man eine Hure nennt, egal mit wie vielen Männern sie geschlafen hatte, seit sie ein junges Mädchen war – mit dreizehn war sie zu Verwandten abgehauen, als diese Geschichte mit ihrem Stiefvater passierte –, und sie würde auch niemals eineHure sein. Huren wussten sich zu verstellen, wenn sie mit ihren Freiern ins Bett gingen, sie nicht. Mabel musste zumindest Sympathie für den Mann verspüren und außerdem, wie die Piuraner es etwas gewöhnlich ausdrückten, erst die Muschel schmücken: Einladungen, Ausflüge, kleine Geschenke, Gesten und Manieren, die dem Eigentlichen eine

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