Ein diskreter Held
bei. Fassen uns ins Geduld, bis der Sturm vorüberzieht.«
»Wollen wir nicht ausgehen, Rigoberto? Ins Kino und dann in irgendein Restaurant?«
»Sehen wir uns lieber hier einen Film an«, antwortete er. »Allein bei der Vorstellung, dass einer dieser Typen auftaucht, Fotos macht, mir so ein Ding unter die Nase hält und mich nach Ismael und den Zwillingen fragt, dreht sich mir der Magen um.«
Denn seit die Presse sich auf die Nachricht von Ismaels Hochzeit mit Armida gestürzt und von den polizeilichen und gerichtlichen Betreibungen seiner Söhne zur Annullierung der Ehe und seiner Entmündigung berichtet hatte, war in den Zeitungen, im Radio und im Fernsehen, in den sozialen Netzwerken und den Blogs von nichts anderem mehr die Rede. Die Fakten verschwanden unter kübelweise Klatsch und Tratsch, Übertreibungen, Erdichtungen, Diffamierungen und Gemeinheiten, in denen die ganze Schlechtigkeit, der Groll und die Unkultur, die Perversionen, Ressentiments und Komplexe der Leute ein Ventil gefunden zu haben schienen. Wenn er selbst nicht notgedrungen Teil dieses Presseboheis wäre, wenn er nicht ständig angefragt würde von Schreiberlingen, die ihre Ignoranz durch Unverschämtheiten und eine krankhafte Neugier wettmachten, dann wäre, sagte sich Rigoberto, dieses Spektakel, mit dem Ismael Carrera und Armida nun die ganze Stadt unterhielten und in dem sie, ob gedruckt oder gesendet,durch den Schmutz gezogen oder auf diesen Scheiterhaufen gebunden wurden, den Miki und Schlaks entzündet hatten und täglich mit Erklärungen, Interviews, Artikeln, Hirngespinsten und Delirien befeuerten – dann wäre das für ihn etwas Unterhaltsames gewesen und noch dazu lehrreich. Ein Lehrstück über dieses Land, diese Stadt und über die Menschenseele im Allgemeinen. Und über ebenjenes Böse, das Fonchito, seinem Aufsatz nach zu urteilen, so sehr beschäftigte. Ein Lehrstück, ja, dachte er. Über viele Dinge.
Das Telefonat mit seinem Exchef und Freund hatte ihn deprimiert. Er bedauerte nicht, ihm als Trauzeuge behilflich gewesen zu sein. Aber die Folgen dieser Unterschrift wurden langsam bedrückend. Es war nicht so sehr der Ärger mit dem Gericht und der Polizei, auch nicht die Verzögerung bei der Regelung seines Vorruhestands, denn er dachte (toi, toi, toi, alles konnte passieren), dass sich das irgendwie in Ordnung bringen ließe. Und Lucrecia und er würden nach Europa reisen.
Das Schlimmste war, dass man ihn in den Skandal hineinzog, fast täglich hob die Sensationsgier ihn auf die Seiten der Blätter, besudelt von einem stinkenden Kloakenjournalismus. Voll Bitterkeit fragte er sich: Wozu hat es dir genutzt, dieses kleine Refugium mit Büchern, Bildbänden, CDs, all diesen erlesenen, feinen, intelligenten und schönen Dingen, die du so eifrig gesammelt hast in dem Glauben, hier wärst du geschützt vor der Unkultur, der Frivolität, der Dummheit und der Leere? Seine alte Vorstellung, man müsse inmitten des Sturms Inseln oder kleine Bollwerke der Kultur errichten, gefeit gegen die Barbarei ringsum, sie ging nicht auf. Der Skandal, den sein Freund Ismael und die Hyänen heraufbeschworen hatten, ließ all seine Säure, seinen Eiter, sein Gift bis hinein in sein Arbeitszimmer sickern, dieses Terrain, auf das er sich schon seit so vielen Jahren – zwanzig, fünfundzwanzig, dreißig? – zurückzog, um das wahre Leben zu leben. Ein Leben, das ihn entschädigte für die Policen und Verträge der Versicherungsgesellschaft, für die Intrigen und Scharmützel der Lokalpolitik, für die Verlogenheit und Idiotie der Leute, mit denen Umgang zu pflegen er täglich genötigt war. Jetzt, mit dem Skandal, nutzte auch die Einsamkeit seines Arbeitszimmers ihm nichts. Am Abend zuvor hatte er es versucht. Er legte eine wunderschöne Aufnahme ein, Arthur Honeggers Oratorium »König David«, aufgeführt an keinem geringeren Ort als in der Kathedrale Notre-Dame de Paris, eine Musik, die ihn immer tief bewegte. Doch diesmal schaffte er es nicht eine Sekunde, sich zu konzentrieren. Er schweifte ab, seine Erinnerung gab ihm die Bilder und Sorgen der letzten Tage zurück, das Entsetzen, wann immer sein Name in den Meldungen erschien, die, auch wenn er die Zeitungen nicht kaufte, seine Bekannten ihm zukommen ließen oder eisern kommentierten, womit sie ihm und Lucrecia das Leben vergällten. Er musste das Gerät ausschalten und ruhig sitzen bleiben, die Augen geschlossen, auf die Schläge seines Herzens hörend, im Mund ein fader Geschmack. Und noch
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