Ein diskreter Held
Bewunderung: ein echter Patriarch. Mit eigenen Händen hatte er die Firma hochgezogen, mit so gut wie keinem Eigenkapital und nur Darlehen, die er auf den Centavo zurückzahlte. Aber Ismael war ein vorzüglicher Nachfolger gewesen, der das Werk seines Vaters tatkräftig fortsetzte. Auch er war unermüdlich, und wenn es drauf ankam, wusste er seine Führungsqualitäten deutlich zu zeigen. Mit den Zwillingen an der Spitze dagegen wäre dem Geschlecht der Carreras ein rasches Ende beschieden. Keiner der beiden hatte die unternehmerischen Fähigkeiten des Vaters oder Großvaters geerbt. Wenn Ismael einmal nicht mehr wäre, arme Versicherungsgesellschaft! Zum Glück wäre er selber dann schon längst nicht mehr Generaldirektor und müsste die Katastrophe nicht miterleben. Warum hatte sein Chef ihn zum Mittagessen eingeladen, wenn nicht, um mit ihm über seine Ruhestandspläne zu sprechen?
Das Rosa Náutica war voll, lauter englisch und französisch sprechende Touristen. Für Don Ismael war ein kleiner Tisch am Fenster reserviert. Sie tranken einen Campari und sahen, wie ein paar Surfer in ihren Neoprenanzügen auf satten Wellen ritten. Es war ein grauer Wintertag, mit niedrigen, bleiernen Wolken, die die Steilküste verdeckten, ringsum Scharen kreischender Möwen. Eine Staffel Albatrosse glitt dicht über das Meer. Das Rauschen der Brandung war angenehm. Der Winter in Lima, dachte Rigoberto, ist schon ein Trauerspiel, aber immer noch tausendmal besser als der Sommer. Er bestellte einen gegrillten Seebarsch mit Salat und machte seinen Chef darauf aufmerksam, dass er nicht einen Tropfen Wein zu trinken gedenke; er habe im Büro noch zu tun und wolle nicht den ganzen Nachmittag gähnen wie ein Krokodil und müde herumgeistern. Ihm kam es vor, als ob Ismael, in Gedanken versunken, ihn nicht einmal hörte. Was war nur los mit ihm?
»Wir beide sind gute Freunde, stimmt’s?«, fing sein Chef plötzlich an, als wäre er gerade aufgewacht.
»Das nehme ich an, Ismael«, antwortete Rigoberto. »Wenn es zwischen einem Arbeitgeber und einem Angestellten denn wirkliche Freundschaft geben kann. Wir haben Klassenkampf, wie du weißt.«
»Wir sind hier und da aneinandergeraten«, fuhr Ismael fort, sehr ernst. »Aber alles in allem haben wir uns, glaube ich, in diesen dreißig Jahren ganz gut vertragen. Meinst du nicht?«
»Ein bisschen gefühliges Drumrum, ehe du mich bittest, nicht in Rente zu gehen, ja?«, stichelte Rigoberto. »Willst du mir sagen, wenn ich gehe, geht die Versicherung zugrunde?«
Doch Ismael war nicht zu Scherzen aufgelegt. Er betrachtete die Muscheln mit Parmesan, die man ihm gerade gebracht hatte, als könnten sie vergiftet sein. Der Mund ging hin und her, die dritten Zähne klackerten. In seinen zusammengekniffenen Augen lag Unruhe. Die Prostata? Krebs? Was war los mit ihm?
»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, murmelte er, ohne ihn anzusehen. Als er aufschaute, sah Rigoberto, dass etwas Verirrtes in seinem Blick lag. »Nein, nicht einen Gefallen. Einen großen Gefallen, Rigoberto.«
»Wenn ich kann, gerne.« Rigoberto wurde neugierig. »Was ist mit dir, Ismael? Du müsstest mal dein Gesicht sehen.«
»Ich möchte, dass du mein Trauzeuge bist«, sagte Ismael, und sein Blick verschwand wieder unter den Muscheln. »Ich heirate.«
Die Gabel mit dem Stück Seebarsch hing für einen Moment in der Luft, und statt sie sich in den Mund zu stecken, legte Rigoberto sie schließlich wieder auf dem Teller ab. Wie alt er wohl ist, dachte er. Nicht jünger als fünfundsiebzig oder achtundsiebzig. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
»Ich brauche zwei Zeugen«, sagte Ismael, schaute ihn jetzt an und war wieder etwas mehr Herr seiner selbst. »Ich bin alle meine Freunde und Bekannten durchgegangen. Und zu demSchluss gelangt, die treuesten, die Menschen, auf die ich mich am meisten verlassen kann, sind mein Chauffeur Narciso und du. Der Schwarze hat zugesagt. Tust du es auch?«
Rigoberto war unfähig, auch nur ein Wort zu sagen oder zu scherzen, er konnte nur nicken.
»Klar«, stammelte er schließlich, »natürlich, Ismael. Aber versprich mir, dass du das ernst meinst, dass es nicht das erste Zeichen von Altersdemenz ist.«
Diesmal lächelte Ismael, wenn auch ohne eine Spur von Freude, er machte nur den Mund auf und zeigte das explosive Weiß seiner falschen Zähne. Es gab Siebzig- und Achtzigjährige, die sich gut gehalten hatten, sagte sich Rigoberto, aber für seinen Chef galt das nicht. Unter den
Weitere Kostenlose Bücher