Ein Drama in Livland
zum Auslaufen bereiten Schiffe streng zu überwachen. Jedenfalls wird das Meer aber vor Ausgang dieser Woche nicht eisfrei, und ich werde nochmals Befehl geben, in Riga Stadt und Hafen besonders scharf im Auge zu behalten.«
Der Oberst billigte die von seinem Untergebenen angeordneten Maßregeln, verlangte aber deren Ausdehnung auf alle baltischen Provinzen. Der Major Verder versprach, ihn auf dem Laufenden zu halten. Die weitere Untersuchung sollte dem Richter Kerstorf anvertraut bleiben, und man durfte sich auf diesen rührigen Beamten verlassen, daß er alles herauszufinden und zu sammeln wissen werde, was mit der traurigen Angelegenheit irgendwie in Verbindung stände.
Nach diesem Gespräch mit dem Major Verder hegte auch der Oberst Raguenof keinen Zweifel mehr, daß der Mörder kein anderer sei als jener Reisende, der den Bankbeamten Poch nach der Schenke Kroffs begleitet hatte. Auf ihm lastete der Verdacht gar so erdrückend. Doch wer war er?… Wie würde es gelingen, seine Persönlichkeit festzustellen, da er weder dem Schaffner Broks bekannt war, der ihn von Riga erst ganz kurz vor Abgang der Post auf-und mitgenommen, noch dem Schenkwirt Kroff, der ihn in seinem Kabak beherbergt hatte. Weder der eine noch der andere hatte sein Gesicht ordentlich gesehen, so daß beide nicht einmal sagen konnten, ob er jung oder alt wäre. Auf welche Fährte sollte man also die Geheimpolizisten unter solchen Umständen leiten?… In welcher Richtung Nachforschungen anstellen? Erhielt man von anderen Zeugen vielleicht noch weitere Aufklärungen, die es ermöglichten, mit einiger Aussicht auf Erfolg vorzugehen?
Bis jetzt war alles in Dunkel gehüllt.
Bald wird sich jedoch zeigen, wie diese Dunkelheit durch einen Lichtschein erhellt, wie diese Nacht zum Tag wurde.
Nachdem der Doktor Hamine an diesem Morgen sein gerichtsärztliches Gutachten über den Vorfall im »Umgebrochenen Kreuze« aufgesetzt hatte, war er, um diesen abzuliefern, nach dem Amtszimmer des Richters Kerstorf gegangen.
»Nun… keine weiteren Anzeichen? fragte er den Beamten.
– Keine Spur davon, lieber Doktor.«
Beim Weggange von dem Richter begegnete der Doktor Hamine zufällig dem französischen Konsul Delaporte und äußerte sich unterwegs gegen diesen über die schwebende Angelegenheit und die damit verknüpften Schwierigkeiten.
»Ja freilich, meinte der Konsul, wenn es so gut wie gewiß ist, daß jener Reisende das scheußliche Verbrechen begangen hat, so ist es sehr zweifelhaft, ob es gelingt, ihn zu entdecken. Sie, Doktor, legen ja ein besonderes Gewicht dem Umstande bei, daß der Todesstoß mit einer Art Dolchmesser ausgeführt worden sei, dessen Griffzwinge sichtbare Spuren rund um die Wunde hinterlassen habe. Schön… doch wie soll dieses Messer gefunden werden?…
– O… wer weiß? antwortete der Doktor Hamine.
– Nun das wird sich ja zeigen. Doch, da fällt mir eben ein, haben Sie vielleicht Nachricht von Nicolef?
– Von Dimitri? rief der Arzt. Warum diese Frage?… Ist er etwa krank?
– Nein, Doktor, doch wissen Sie denn nicht, daß er verreist ist?
– Verreist?… Wie sollte ich das wissen, da ich doch sechsunddreißig Stunden selbst abwesend war?
– Ah… richtig, antwortete der Konsul. Nun also, Dimitri ist seit drei Tagen von zu Hause weggegangen.
– Seit drei Tagen? wiederholte der Arzt verwundert und etwas betroffen.
– Ja, und auch ohne zu sagen, wohin er gehen wolle.
– Er hätte nicht einmal seine Tochter von seinem Weggange unterrichtet?
– O doch, aber nur mit einigen Worten: daß er zwei oder drei Tage abwesend sein werde.
– Das ist mindestens recht seltsam, bemerkte der Doktor Hamine. Und seit der Zeit hat man keine Nachricht von ihm?
–Keine einzige. Auch ich habe erst gestern, als ich in Nicolefs Wohnung vorsprach, durch Fräulein Ilka etwas von seiner Abreise erfahren.
– Und wann ist diese erfolgt?
– Vergangenen Freitag ganz früh.
– Doch wenn ich nicht irre, sagte dazu der Doktor Hamine, war am Freitag der dreizehnte, und den vorhergehenden Abend, den des zwölften, hatten wir doch bei Dimitri zugebracht, der erst recht spät nach Hause kam…
– Ganz recht.
– Ich denke aber vergeblich darüber nach, ob Dimitri damals von seiner beabsichtigten Reise gesprochen hat.
– Nein, nicht einmal eine Andeutung hat er davon gemacht.
– Und doch mußte die Absicht bei ihm schon feststehen, da er am nächsten Morgen, und ohne zu sagen wohin, fortgegangen ist…
– Ohne darüber ein Wort
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