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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Dann trat ich näher an die Tür und beobachtete den Unbekannten, den Kroff schon nach seinem Zimmer führte. Da glitt dessen Kapuze zufällig zurück, und ich konnte einen Augenblick, doch nur einen Augenblick, das Gesicht darunter sehen.
    – Und das hat Ihnen genügt?
    – Vollkommen, Herr Richter.
    – Sie erkannten den Betreffenden?
    – Natürlich; ich hatte ihn ja in Riga oft genug auf der Straße gesehen.
    – Das war also Herr Dimitri Nicolef?
    – Wie Sie sagen.
    – Der, der jetzt hier anwesend ist?
    – Derselbe.«
    Der Privatlehrer, der diese Aussage, ohne sie zu unterbrechen, voll Spannung angehört hatte, nahm jetzt das Wort.
    »Der Brigadier, bestätigte er, hat sich nicht getäuscht. Ich glaube, schon weil er es behauptet, daß er sich damals in jenem Kabak befunden hat, nur habe ich auf ihn nicht Acht gehabt, während er mich beobachtet hat. Übrigens, Herr Richter, begreife ich nicht, warum Ihnen daran liegen konnte, uns einander gegenüberzustellen, da ich doch schon allein erklärt hatte, jene Nacht in dem Gasthause ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ gewesen zu sein.
    – Das werden Sie sofort erfahren, Herr Nicolef, antwortete der Beamte. Vorher aber frage ich Sie nochmals: Weigern Sie sich, anzugeben, was der Grund Ihrer Reise gewesen war?
    – Ich weigere mich… jetzt wie vorher.
    – Das kann für Sie unangenehme Folgen haben.
    – Unangenehme?… Warum denn?
    – Weil eine Aufklärung darüber dem Gerichte vielleicht erspart hätte, Sie überhaupt persönlich wegen eines Vorfalles zu belästigen, der sich in jener Nacht im Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ zugetragen hat.
    – In jener Nacht? wiederholte der Lehrer.
    – Ja. Haben Sie in der zwischen acht Uhr abends und drei Uhr morgens verflossenen Zeit gar nichts Auffälliges gehört?
    – Nein, denn ich habe bis zu der Minute, wo ich aufstand, fest geschlafen.
    – Auch nichts Verdächtiges bemerkt, als Sie fortgingen?
    – Gar nichts.«
    Mit einer Stimme, die nichts von Aufregung oder Beunruhigung verriet, setzte Dimitri Nicolef noch hinzu.
    »Ich fange an zu ahnen, Herr Richter, daß ich hier in einer sehr ernsthaften Angelegenheit wider meinen Willen eine gewisse Rolle spiele, und daß Sie mich als Zeugen aufgerufen haben.
    – Als Zeugen… o nein, Herr Nicolef.
    – Nein, aber als Angeschuldigten! rief der Major Verder.
    – Herr Major, verwies ihn der Richter strengen Tones, greifen Sie dem Gerichte nicht vor und erwarten Sie dessen Entscheidung!«
    Der Major mußte diese Rüge hinnehmen, und es schien, als murmelte Dimitri Nicolef gleichzeitig etwa die Worte:
    »Ah… also deshalb hat man mich hierher gerufen.«
    Dann fragte er aber mit sicherer Stimme:
    »Wessen werde ich beschuldigt?
    – Der Bankbedienstete Poch ist in der Nacht vom dreizehnten zum vierzehnten April im Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ ermordet worden.
    – Der Unglückliche ist ermordet worden? rief Nicolef.
    – Ja, antwortete Kerstorf, und wir haben die Überzeugung, daß sein Mörder der Reisende gewesen ist, der das Zimmer, das Sie innehatten, einnahm.
    – Und da Sie, Dimitri Nicolef, dieser Reisende waren… ließ sich der Major Verder vernehmen.
    – Ich… ich soll der Mörder gewesen sein!«
    Bei diesen Worten stieß Nicolef seinen Stuhl zurück und wandte sich nach der Tür des Bureaus, vor der der Brigadier Eck stand.
     

    »Verhaften Sie mich, wenn Sie wollen…« (S. 155.)
     
    »Sie leugnen das, Dimitri Nicolef? fragte der Richter, der sich ebenfalls erhob.
    – Es gibt Dinge, die man zu leugnen gar nicht erst nötig hat, weil sie sich geradezu selbst leugnen, antwortete Nicoles.
    – Nehmen Sie sich in Acht!
    – Aber ich bitte Sie… das kann doch nicht im Ernst gemeint sein!
    – In vollem Ernst.
    – Es widerstrebt mir, darüber weiter ein Wort zu verlieren, antwortete der Lehrer, sich stolz aufrichtend. Darf ich aber wissen, warum die Beschuldigung sich eigens und einzig auf den Reisenden richtet, der die Nacht in jenem Zimmer des Kabaks zugebracht hat?
    – Weil sich auf der Fensterbank desselben Zimmers, erklärte Kerstorf, deutliche Spuren davon erkennen ließen, daß der Mörder es in der Nacht auf diesem Wege verlassen hat, um ins Zimmer Pochs durch ein Fenster darin, nach Aufsprengung des Ladens, einzudringen, und weil sich das zum Aufbrechen benutzte Schüreisen im Zimmer jenes Reisenden, aber verbogen, wiedergefunden hat.
    – Wahrhaftig, meinte Dimitri Nicolef, wenn sich alles das hat feststellen lassen, so ist es mindestens sehr

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