Ein Drama in Livland
blieb.
Als ihm am Nachmittage der Oberst Raguenos das Protokoll des Verhörs überbrachte, wollte er sich mit diesem über den beklagenswerten Fall aussprechen, über den er der Regierung zu berichten verpflichtet war.
»Ich stehe Euer Exzellenz zur Verfügung,« antwortete der Oberst auf seine einleitenden Worte.
Der General Gorko las das Protokoll aufmerksam bis zum Ende.
»Mag Dimitri Nicolef schuldig sein oder nicht, begann er dann, jedenfalls wird die germanische Partei die Lage des Mannes auszunutzen suchen, einfach weil er ein Slawe ist. Gerade ihn wollten wir ja im bevorstehenden Wahlkampfe dem deutschen Adel entgegenstellen, den hohen Bürgerkreisen, die in den Provinzen, vorzüglich aber in Riga, fast allmächtig sind, und gerade jetzt trifft ihn die Beschuldigung wegen eines Verbrechens, gegen die er sich sehr mangelhaft verteidigt.
– Eure Exzellenz haben recht, antwortete der Oberst, und das trifft sich noch unter den unseligsten Umständen, wo die Gemüter der Menge schon so erhitzt sind.
– Halten Sie Nicolef für schuldig, Raguenof?
– Darauf kann ich Euer Exzellenz kaum Antwort geben, mindestens wie ich es Dimitri Nicolefs wegen wünschte, der mir von jeher der öffentlichen Achtung würdig erschienen ist.
– Doch warum weigert er sich, über seine Reise eingehend Auskunft zu geben?… Zu welchem Zweck hat er sie unternommen?… Wohin hat er sich begeben?… Er muß für sein Schweigen doch schwerwiegende Gründe haben.
– Ich bitte nur Eure Exzellenz, zu bedenken, daß nichts als der Zufall ihn in Verbindung mit dem unglücklichen Poch gebracht, nichts anderes ihn kurz vor der Abfahrt von Riga in der Postkutsche mit diesem zusammengeführt hat, und daß wiederum ein Zufall die Ursache war, daß beide den Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ aufsuchten.
– Gewiß, lieber Oberst; ich erkenne auch recht gern das Gewicht Ihrer Bemerkungen an. Der auf Nicolef ruhende Verdacht würde aber doch sehr abgeschwächt werden, wenn er sich offen über die auffallende Reise äußern wollte, von der er nicht einmal gegen seine Familie gesprochen hatte.
– Zugegeben, und doch genügt wohl sein Schweigen darüber noch nicht, daraus den Schluß auf seine Schuld zu ziehen. Nein, obwohl er sich in jener Nacht in der Kroffschen Schenke aufgehalten hat, mag ich, nein, kann ich nicht glauben, daß Nicolef der Urheber des Verbrechens sei!«
Der Gouverneur bemerkte recht wohl, daß der Oberst bestrebt war, Dimitri Nicolef, einen Slawen wie er selbst, zu verteidigen. Auch er wollte sich von der Schuld des Mannes nur überzeugen lassen, wenn dafür unumstößliche Beweise vorlägen, doch auch dann mußten noch mehrere solche übereinstimmen, ehe er sich vor diesen beugen würde.
»Wir dürfen uns immerhin nicht verhehlen, nahm er, in dem Aktenstücke blätternd, wieder das Wort, daß ein ernster Verdacht auf ihm lastet. Er bestreitet nicht, die Nacht vom dreizehnten zum vierzehnten in jener Schenke zugebracht zu haben, und leugnet auch nicht, gerade in dem Zimmer geschlafen zu haben, an dessen Fensterbank sich noch frische Spuren zeigen, in demselben Zimmer, wo sich das zum Aufbrechen des Ladens benutzte Schüreisen gefunden hat, das es dem Mörder ermöglichte, in das Zimmer Pochs einzudringen.
– Das ist ja richtig, meinte Oberst Raguenof. Die Umstände deuten darauf hin, daß der Mörder jener Reisende gewesen sei, der sich die Nacht in diesem Zimmer aufgehalten hat, und es unterliegt keinem Zweifel, daß Dimitri Nicolef dieser Reisende gewesen ist. Sein ganzes Privatleben, seine stets erprobte Ehrbarkeit verteidigen ihn aber gegen eine solche Anklage. Obendrein, Eure Exzellenz, hat er ja, als er sich zu seiner Reise entschloß, ganz bestimmt nicht gewußt, daß ein Angestellter des Bankhauses der Gebrüder Johausen mit ihm fahren werde und daß dieser beauftragt sei, an einen Geschäftsfreund in Reval eine größere Summe auszuzahlen. Selbst wenn man dann annimmt, daß der Gedanke an das Verbrechen in ihm aufgestiegen sei, als er die Dokumentenmappe, die der Unvorsichtige nicht genügend verborgen hielt, erblickte, so müßte mindestens noch nachgewiesen werden können, daß Dimitri Nicolef gerade in bedrängter Lage gewesen wäre und so nötig Geld gebraucht hätte, daß er es über sich gewann, sogar ein Verbrechen zu begehen, um einen Raub ausführen zu können. Weiß man denn, daß diese Nebenumstände vorgelegen hätten und erlaubt es die stets ehrenhafte und bescheidene Lebensführung des
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