Ein Drama in Livland
betreten habe.
– Mag sein. Gewiß ist es aber, daß Sie vorgezogen haben, darin die Nacht zu verbringen, statt sich mit dem Schaffner und dem Postillon noch nach, Pernau zu begeben.
– Ganz recht, ich hatte keine Lust, noch gegen zwanzig Werst in dem abscheulichen Wetter zurückzulegen, und zog es deshalb vor, jene Schenke mit dem Bankbediensteten aufzusuchen…
– Den Sie erst dazu bestimmt hatten, Ihnen zu folgen.
– Ich… ich hatte ihn zu gar nichts bestimmt, erklärte Nicolef. Bei dem Unfalle mit dem Postwagen verletzt – er hatte eine Quetschung und Hautabschürfung am Bein davongetragen – wäre er gar nicht imstande gewesen, die Strecke, die uns noch von Pernau trennte, zurückzulegen. Es war wirklich ein Glück für ihn, daß jene Schenke…
– Ein Glück für ihn!« platzte der Major Verder heraus, der, nicht so kaltblütig wie der auf alles gefaßte Beamte, bei diesen Worten fast einen Sprung machte.
Dimitri Nicolef drehte sich um, zuckte aber nur etwas verächtlich mit den Schultern.
Kerstorf, dem ja daran lag, das Verhör nicht aus der Richtung, in die er es geleitet hatte, ablenken zu lassen, beeilte sich, weitere Fragen zu stellen.
»Der Schaffner und der Postillon sind zu derselben Zeit nach Pernau fortgeritten, wo Sie beide den Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ erreichten?
– ‘Zum umgebrochenen Kreuze’? wiederholte Nicolef. Ich wußte nicht, daß das kleine Gasthaus diesen Namen führte.
– Als Sie mit Poch dort eintrafen, wurden Sie von dein Schenkwirt Kroff empfangen. Sie verlangten von ihm ein Zimmer für die Nacht, und Poch ebenfalls. Kroff hat Ihnen angeboten, etwas zu Abend zu essen, was Sie abschlugen, während der Bankbeamte darauf einging.
– Ja, weil mir daran nichts gelegen war.
– Woran Ihnen aber mehr lag, Herr Nicolef, das war, am nächsten Morgen noch vor Tagesanbruch weiterzugehen, ohne den Postschaffner abzuwarten. Sie haben diese Absicht auch dem Gastwirt Kroff mitgeteilt und sich dann sofort in Ihr Zimmer zurückgezogen.
– Gewiß, so ist es gewesen, bestätigte der Lehrer, dem man schon anmerkte, daß diese unausgesetzten Fragen ihn belästigten.
– Ihr Zimmer lag links von der Gaststube, worin noch einige Kunden Kroffs beim Abendtrunk saßen, und es nahm das Ende der betreffenden Hausseite ein.
– Das weiß ich nicht, Herr Richter. Ich wiederhole Ihnen, daß mir das kleine Gasthaus, in das ich zum ersten Male den Fuß setzte, ganz unbekannt war. Und obendrein war es schon finster, als ich hinkam, und noch finster, als ich wieder fortging.
– Ohne den Postschaffner abzuwarten, ein Umstand, auf den ich besonderes Gewicht lege, bemerkte Kerstorf, ohne den Schaffner abzuwarten, der Sie nach Wiederherstellung des Wagens abholen sollte.
– Ohne den Mann abzuwarten, bestätigte Nicolef, da ich bis Pernau nur noch zwanzig Werst zu gehen hatte.
– Mag sein. Sie geben aber wohl zu, diesen Entschluß erst an jenem Abend gefaßt und ihn am Morgen um vier Uhr ausgeführt zu haben?«
Dimitri Nicolef schwieg still.
»Jetzt, fuhr Kerstorf fort, wäre ich so weit, eine Frage an Sie zu richten, deren Beantwortung Ihnen voraussichtlich nicht unbequem erscheint.
– Bitte, Herr Richter.
– Was war der Grund Ihrer Reise, einer Reise, zu der Sie sich so schnell und mit Geheimhaltung entschlossen, von der Sie nicht einmal am Tage vorher Ihren Zöglingen, die darum befragt worden sind, gesprochen hatten?«
Diese Frage schien Nicolef arg in Verlegenheit zu setzen.
»Persönliche Angelegenheiten, sagte er endlich.
– Welcher Art?
– Darüber brauche ich mich hier wohl nicht auszusprechen.
– Sie weigern sich zu antworten?
– Ja, ich weigere mich.
– Würden Sie wenigstens angeben, wohin Sie von Riga aus gehen wollten?
– Auch das kommt hier wohl nicht in Frage.
– Sie hatten einen Platz bis Reval bezahlt. Hatten Sie in Reval etwas zu besorgen?«
Keine Antwort.
»Mir scheint, das wird eher in Pernau der Fall gewesen sein, fuhr der Richter fort, da Sie die Rückkehr des Postwagens nach dem Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ nicht abwarten zu sollen glaubten.«
Dimitri schwieg noch immer.
»Doch hören Sie weiter, sagte der Richter. Sie sind nach der Aussage des Gastwirts gegen drei Uhr morgens aufgestanden. Der Mann hat sein Lager da gleichzeitig verlassen. Als Sie dann in den Mantel gehüllt und die Kapuze, wie am Tage vorher, über den Kopf gezogen aus dem Zimmer getreten sind, so daß man von Ihrem Gesicht kaum etwas sehen konnte, hat
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