Ein Drama in Livland
Kroff Sie noch gefragt, ob Sie eine Tasse Tee oder ein Gläschen Branntwein wünschten. Das haben Sie abgelehnt und nur Ihr Nachtlager bezahlt. Dann hat Kroff, nach Entfernung der Vorlegebalken an der Tür deren Schloß mit dem Schlüssel, den er bei sich trug, geöffnet, und Sie haben sich, ohne noch ein Wort zu äußern, eiligen Schrittes entfernt und sind inmitten der Dunkelheit auf der Landstraße nach Pernau zu gegangen. Stimmt von dem, was ich eben gesagt habe, etwa nicht jede Einzelheit?
– Nein, es stimmt alles.
– Nun zum letzten Male: Wollen Sie mir den Grund Ihrer Reise und auch noch mitteilen, wohin Sie sich von Riga aus begeben wollten?
– Herr Richter Kerstorf, erklärte jetzt Dimitri Nicolef eisigkalten Tones, ich begreife nicht, wozu alle diese Fragen dienen sollen, ebensowenig, warum ich überhaupt hier aufs Gericht gerufen worden bin. Ich habe dennoch auf alle Fragen geantwortet bei denen ich mich dazu verpflichtet glaubte… auf andere freilich nicht. Das halte ich für mein gutes Recht. Ich bemerke übrigens hierzu, daß ich im guten Glauben gehandelt habe. Wollte ich es verheimlichen, diese Reise gemacht zu haben – und das aus Gründen, worüber mir doch allein ein Urteil zusteht – wollte ich leugnen, daß ich jener Passagier der Post und der Begleiter des erwähnten Bankbediensteten gewesen sei, wie könnten Sie mich des Gegenteils überführen, da, Ihrer eigenen Aussage nach, weder der Schaffner, noch Poch oder irgend jemand anderer mich hatte erkennen können, da ich so viele Vorsichtsmaßregeln beobachtet hätte, unerkannt zu bleiben?«
Hierzu die Bemerkung, daß Dimitri Nicolef das alles mit großer Selbstbeherrschung sagte, der sich indessen ein gewisser Zug von Verachtung beimischte. Desto erstaunter mußte er freilich über die nächste Gegenrede des Beamten sein.
»Wenn Poch und Broks auch nicht wissen konnten, wer Sie waren, Herr Nicolef, so ist doch ein anderer Zeuge vorhanden, der Sie erkannt hat, er…
– Ein anderer Zeuge?
– Ja, einer, dessen Aussage Sie sofort hören werden.«
Der Richter wendete sich an einen Polizisten.
»Führt mir den Brigadier Eck herein«, sagte er.
Einen Augenblick darauf trat der Brigadier ins Bureau, begrüßte seinen Vorgesetzten mit der gewohnten militärischen Ehrenbezeugung und wartete darauf, von Kerstorf befragt zu werden.
»Sie sind der Brigadier Eck von der sechsten Abteilung?« begann dieser.
Der Brigadier gab seinen vollen Namen und seine Stellung an, während Dimitri Nicolef ihn ansah wie einen, den er das erste Mal zu Gesicht bekäme.
»Haben Sie sich am vergangenen dreizehnten April noch am Abend im Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ befunden?
– Gewiß, Herr Richter. Ich kam dahin auf dem Rückwege von einer Suche längs der Pernowa, wo wir einen Flüchtling verfolgt hatten, der auf die im Flusse hinabtreibenden Schollen sprang.«
Auf diese Antwort konnte Dimitri Nicolef eine gewisse Bewegung nicht unterdrücken, die Kerstorf auffiel. Der Richter unterließ aber jede darauf bezügliche Bemerkung und wendete sich nun wieder an den Brigadier.
»Teilen Sie uns mit, was Sie zu sagen haben.«
Der Brigadier tat das mit folgenden Worten:
»Ungefähr seit zwei Stunden befand ich mich mit einem meiner Leute im Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’, und wir rüsteten uns schon, nach Pernau aufzubrechen, als sich die Tür zum Gastzimmer öffnete. Auf der Schwelle erschienen zwei Herren, offenbar zwei Reisende. Ihr Wagen war auf der Landstraße zerbrochen, und so suchten sie in jener Schenke Unterkommen. während der Schaffner und der Postillon auf den Bespannpferden nach Pernau weggeritten waren. Der eine der beiden Reisenden war der Bankbeamte Poch aus Riga, den ich schon lange kannte, und mit dem ich an jenem Abend etwa noch zehn Minuten gesprochen habe. Der andere Reisende fiel mir auf, weil er offenbar das Gesicht unter der Kapuze seines Mantels zu verbergen bemüht war. Das erschien mir verdächtig, und ich suchte deshalb zu erforschen, wer dieser Fremde sein möchte.
– Damit hast du nur deine Pflicht getan, Eck, warf der Major Verder ein.
– Poch, berichtete der Brigadier weiter, der, am Fuße leicht verletzt, an einem Tische saß, hatte eine Mappe mit den Anfangsbuchstaben der Firma Gebrüder Johausen neben sich gelegt. Da sich noch fünf oder sechs Leute in der Gaststube befanden, empfahl ich Poch, die Geldmappe, die übrigens an seinem Gürtel noch mit einer Kette befestigt war, nicht unnötig sehen zu lassen.
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