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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wagen könnte. Höchst wahrscheinlich verging also ein gewisser Zeitraum, bis einer davon irgendwo auftauchte.
    Dimitri Nicolefs Freunde lernten bald die Anschauungen der Menge nicht nur in Riga, sondern auch in den Provinzen kennen, wo man sich für die Sache außerordentlich interessierte. Sie wußten, daß die öffentliche Meinung sich im allgemeinen gegen den Lehrer kundgab und daß die deutsche Partei sich bemühte, auf die Behörden einen Druck auszuüben, um dessen Verhaftung und Verurteilung herbeizuführen. Die kleinen Leute, die Handwerker, die Krämer und die eigentlichen Eingebornen, waren weit mehr geneigt für Nicolef einzutreten und ihn, wäre es auch nur infolge Rasseninstinktes, gegen seine Feinde zu verteidigen, wenn sie von seiner Unschuld vielleicht auch nicht völlig überzeugt waren. Was vermochten aber diese armen Leute auszurichten? Bei den Mitteln, worüber die Gebrüder Johausen und ihre Anhänger verfügten, war es ja leicht, auf jene einzuwirken, sie zu Ausschreitungen aufzustacheln und damit auf den Gouverneur einen Zwang auszuüben, daß er sich einer Bewegung fügte, der zu widerstehen hätte gefährlich werden können.
    Inmitten der tief erregten Stadt, deren Vorstadt ununterbrochen Gruppen von Bürgern und auch von den niederen Volksklassen durchstreiften, von denen die zweiten für jedermann, der sie bezahlte, zu haben waren, und trotzdem daß es vor seinem Hause zu wiederholten bedrohlichen Ansammlungen kam, bewahrte Dimitri Nicolef doch eine erstaunliche, überlegene Ruhe. Auf die Bitten seiner Kinder hatte der Doktor Hamine ihn wenigstens zu bestimmen gewußt, daß er vorderhand nicht ausginge; er wäre auch jedenfalls gefährdet gewesen, in den Straßen beschimpft, vielleicht gar mißhandelt zu werden. Wohl fügte er sich dem Zureden seines Freundes, wurde aber verschlossener als je und verbrachte die meiste Zeit in seiner Studierstube. Schweigsam, abweisend, wenn jemand auf ihn sprach, und ohne nur mit einer Silbe auf die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen hinzudeuten, ging in seinem Innern offenbar eine Veränderung vor sich, die seine Kinder und seine Freunde nicht grundlos beunruhigte. Der Doktor Hamine, der seiner Freundschaft für ihn bis zur Aufopferung Ausdruck gab, widmete ihm jede Stunde, die seine sonstigen Berufspflichten ihm frei ließen. Delaporte und noch einige Bekannte trafen jeden Abend in seinem Hause zusammen, worin oft feindselige Ausrufe von der Straße hörbar wurden, obgleich die Polizei diese auf Befehl des Obersten Raguenof streng überwachte. Traurige Abende waren es, an denen Dimitri Nicolef so gut wie gar nicht teilnahm. Mindestens waren der Bruder und die Schwester nicht allein in den Stunden, die die Dunkelheit noch unheimlicher machte und die dann so langsam verstreichen. Gingen die Freunde dann fort, so umarmten sich Ilka und Jean noch einmal mit angsterfülltem Herzen, schlichen nach ihren Zimmern und lauschten dem Lärme von der Straße, während sie ihren Vater auf-und abgehen hörten, als könne er keine Ruhe finden.
    Selbstverständlich dachte Jean gar nicht daran, nach Dorpat zurückzukehren. In welch peinlicher Lage hätte er sich dort auf der Universität befunden. Wie hätten ihn wohl die Studenten und darunter auch die empfangen, die mit ihm früher in inniger Freundschaft verbunden waren? Vielleicht hätte er in dem wackern Gospodin den einzigen Verteidiger gefunden, wenn die anderen von der öffentlichen Meinung sozusagen angesteckt worden waren. Wie hätte er sich auch Karl Johausen gegenüber beherrschen können?
    »O… dieser Karl! klagte er gegen den Doktor Hamine wiederholt. Mein Vater ist unschuldig! Die Entdeckung des wirklichen Schuldigen wird und muß das beweisen. Ob es dazu jetzt aber kommt oder nicht, ich werde Karl Johausen zwingen, mir für seine schimpfliche Beleidigung Genugtuung zu gewähren. Warum sollte ich damit vielleicht lange warten?«
    Dem Arzte gelang es nur mit Mühe den jungen Mann einigermaßen zu beruhigen.
    »Werde nicht ungeduldig, Jean, ermahnte er ihn, und begehe keine Unbesonnenheit!… Wenn die rechte Stunde gekommen ist, werde ich der erste sein, der dir sagt: Geh’ und tue – deine Pflicht!«
    Jean fügte sich dem Rate nicht sofort, und ohne die flehentlichen Bitten seiner Schwester hätte er sich doch vielleicht zu einem Schritte hinreißen lassen, der die Sachlage jedenfalls verschlimmern mußte.
    Am Abend nach seiner Rückkehr von Riga und als er nach dem peinlichen Verhör nach Hause

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