Ein Drama in Livland
nach den Bergwerken Sibiriens ausgewiesen werden… er, ein Mörder, der den Tod so reichlich verdient hätte!
Derartige Anschauungen und Urteile herrschten vorzüglich in den vornehmeren Stadtvierteln mit ihrer Überzahl an deutschen Bewohnern. In der Familie Johausen wütete und tobte man gegen Dimitri Nicolef, gegen den Mörder des unglücklichen Poch, im Grunde aber noch mehr gegen den bescheidenen Lehrer, den Gegner des mächtigen Bankiers.
»Keinesfalls, erklärte Frank Johausen, wußte Nicolef, als er sich zu seiner Reise entschloß, daß er mit Poch fahren würde und daß dieser eine größere Geldsumme bei sich führte. Er hat das aber gewiß bald erfahren, und schon als er nach dem Unfalle mit dem Postwagen vorschlug, die Nacht in der Schenke ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ zuzubringen, wird er den Plan entworfen gehabt haben, unseren Boten zu bestehlen, wobei er dann auch zur Ausführung des Raubes vor einem Morde nicht zurückgeschreckt ist. Will er die Gründe nicht offenbaren, warum er Riga überhaupt verlassen hatte, so mag er doch wenigstens sagen, warum er noch vor Tagesanbruch und ohne den Postschaffner abzuwarten, aus dem Kabak geradezu entflohen ist. Mag er endlich erklären, wohin er sich gewendet und wo er die drei Tage seiner Abwesenheit zugebracht hat. Das wird er aber nicht tun! Er gestände ja damit sein Verbrechen ein, da er so übereilt davongegangen ist und sein Gesicht immer verhüllt gehalten hat, nur um das dem Opfer geraubte Geld desto leichter in Sicherheit bringen zu können.«
Was Dimitri Nicolefs offenbare Notlage betraf, die ihn zu dem Diebstahle verleitet haben werde, zögerte der Bankier auch mit einer Erklärung hierüber nicht.
»Vom pekuniären Gesichtspunkte aus betrachtet, war die Lage des Privatlehrers wohl eine ganz verzweifelte. Er hatte Verbindlichkeiten, denen er nicht nachkommen konnte. Binnen drei Wochen verfällt ein an uns zu zahlender Wechsel über achtzehntausend Rubel, und ich bin fest überzeugt, daß ihm die eigenen Mittel dazu fehlen und er diese auch nicht anderweitig austreiben könnte. Überdies wußte er, daß jedes Gesuch um Prolongation des Wechsels von mir abgelehnt werden würde, daß meine Nachsicht in dieser Beziehung zu Ende war.«
Das sah Frank Johausen als unerbittlichem, haßerfülltem und rachsüchtigem Manne ganz ähnlich. Was der Bankier ausgesprochen hatte, sickerte auch nach außen durch, und so erhielten Jean, Ilka und Nicolefs Freunde Kunde von dessen Verhältnis gegenüber dem politischen Feinde. Dimitri leugnete nicht, beruhten seine Verbindlichkeiten doch nur auf seinem ehrenwerten Eintreten für die hinterlassenen Schulden seines Vaters. Immerhin war das ein neuer Gegenstand tödlicher Beunruhigung, der zu so vielen anderen hinzutrat.
Bezüglich der Angelegenheit, in die ja auch die Politik hineinspielte, wollte der General Gorko jedenfalls mit vorsichtigster Klugheit vorgehen. Obwohl die öffentliche Meinung die Verhaftung des Lehrers forderte, glaubte er den Befehl hierzu noch nicht geben zu können, dagegen erhob er keinen Einspruch gegen eine Hausdurchsuchung bei dem Angeklagten.
Eine solche erfolgte am 18. April durch den Richter Kerstorf, den Major Verder und den Brigadier Eck.
Dimitri Nicolef ließ die drei Herren nach Belieben schalten; er widersetzte sich keiner ihrer Maßnahmen, beantwortete aber alle an ihn gerichteten Fragen mit verächtlicher Kälte. Man durchwühlte seinen Schreibtisch, seine Schränke, nahm Einsicht in seine Papiere, seinen Briefwechsel und seine persönliche Rechnungsführung. Diese zeigte übrigens, daß Frank Johausen nicht übertrieben hatte, wenn er sagte, daß der Lehrer so gut wie nichts besäße. Er lebte nur vom Ertrag seiner Unterrichtsstunden, doch auch dieser würde ihm ja als Folge der jetzigen Vorkommnisse wenigstens zum größten Teile verloren gehen.
Die Hausdurchsuchung verlief, was den zum Nachteil der Gebrüder Johausen begangenen Diebstahl betraf, ganz ohne Ergebnis. Wie hätte das auch anders sein können, da Nicolef – nach der Meinung des Bankiers – Zeit genug gehabt hatte, das Geld beiseite, d. h. nach der Stelle zu schaffen, wohin er sich am frühen Morgen nach dem Verbrechen begab und die anzugeben er sich wohl hüten würde.
Was die Kassenscheine betraf, deren Nummern der Bankier besaß, so würden diese – das war auch die Ansicht Kerstorfs – nicht eher in Verkehr gebracht werden, als bis der Dieb, wer das auch sein mochte, sagte der Richter, das ohne Gefahr
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