Ein Drama in Livland
gezweifelt und niemals würden sie daran zweifeln… alle bemühten sich, ihm die besten Beweise der herzlichsten Zuneigung zu ihm zu geben.
In dem Zimmer, worin sich alle befanden, mußte nun Nicolef, während vor seinem Hause die irregeleitete Menge tobte, berichten, was im Bureau des Richters vorgefallen war, mußte das Vorurteil gegen ihn schildern, das der Major Verder gar nicht verheimlichte, und ebenso das würdige und zurückhaltende Auftreten des Richters Kerstorf. Das tat er nur mit kurzen Worten und in abgebrochenen Sätzen, wie ein Mann, den es anwidert, auf viele dieser Einzelheiten zurückzukommen.
Begreiflicherweise fühlte der Lehrer das Bedürfnis zu ruhen, allein zu n, oder vielleicht in der Arbeit Vergessenheit für das, was ihm widerfahren war, zu suchen, und so verabschiedeten sich denn seine Freunde.
Jean zog sich mit seiner Schwester in deren Zimmer zurück, und Dimitri Nicolef bereitete sich vor, nach seiner Studierstube zu gehen.
»Halten Sie Nicolef für schuldig?« (S. 157.)
Beim Verlassen des Hauses sagte Delaporte zu dem Arzte:
»Die Köpfe der Leute sind einmal erhitzt, lieber Freund, und obwohl Nicolef ohne Zweifel unschuldig ist, bleibt es doch dringend nötig, den wirklich schuldigen Täter zu entdecken, sonst wird der Haß seiner Feinde nicht aufhören, ihn zu verfolgen.
– Das ist leider sehr zu befürchten, antwortete der Arzt. Habe ich jemals gewünscht, die Hand der Gerechtigkeit auf einen Verbrecher gelegt zu sehen, so wünsche ich es in diesem Falle. Die Gebrüder Johausen werden den Tod Pochs auszunutzen wissen, und ebenso Franks Sohn Karl, der nicht einmal die Beibringung eines Beweises für die Anschuldigung abgewartet hat, Jean als Sohn eines Mörders zu behandeln.
– Im befürchte übrigens, bemerkte Delaporte, daß diese Sache zwischen Karl und ihm noch nicht erledigt ist. Sie kennen ja Jean; er wird sich rächen wollen, um seinen Vater zu rächen.
– O nein… nein, entgegnete der Arzt, er darf bei der jetzigen Sachlage keine Unklugheit begehen. Ach, diese unglückselige Reise! Warum hat Dimitri sie unternommen und was hat ihm überhaupt den Gedanken dazu eingegeben?«
Natürlich legten sich die Kinder und die Freunde Nicolefs solche Fragen vor, da sich dieser darüber so hartnäckig in Schweigen gehüllt hatte.
Hierzu kommt noch, daß er auch bei der Schilderung des Verhörs vor dem Untersuchungsrichter jede Anspielung auf seine Reise unterdrückte, auch nicht erwähnte, daß der Beamte gerade auf die Beweggründe, weshalb er Riga verlassen hätte, besonders Wert gelegt hatte, und ebenso verschwieg er seine Weigerung, auf diesbezügliche Fragen Antwort zu geben. Die Hartnäckigkeit, womit er hierüber schwieg, mußte mindestens auffällig erscheinen. Vielleicht fand sich dafür aber später eine Erklärung. Die Gründe, um deretwillen er drei Tage abwesend gewesen war, konnten nur ehrenhafter Art sein, ebenso wie die, um deretwillen er dabei beharrte, sich nicht darüber zu äußern.
Und doch hätte er – da es unannehmbar erschien, daß ein Mann von seiner Bildung und seiner gesellschaftlichen Stellung ein solches Verbrechen begangen hätte – der Anklage ohne Zweifel durch ein einziges Wort allen Boden entziehen können, durch ein Wort, das auszusprechen er sich starrsinnig weigerte.
Jedenfalls hatte die Nichtverhaftung Dimitri Nicolefs nach dessen Verhör durch den Richter Kerstorf in der Stadt und vorzüglich unter den die Mehrheit bildenden Deutschen eine große Erregung hervorgebracht. Die Familie Johausen, ihr Umgangskreis, der Adel und die Bürgerschaft erhoben dagegen schwere Vorwürfe. Man beschuldigte den Gouverneur und den Oberst Raguenof, den Lehrer einfach wegen seiner Nationalität zu begünstigen. In gleicher Weise angeklagt, wäre jeder außer einem Slawen schon ins Gefängnis der Feste abgeführt worden.
Warum behandelte man ihn denn nicht wie einen gewöhnlichen Raubmörder? Verdiente er mehr Schonung als ein Karl Moor, ein Johann Sbozar oder ein Jaromir? Gegen ihn sprach ja nicht etwa ein unbegründeter Verdacht, sondern nahezu eine Gewißheit, und das Gericht ließ ihn dennoch frei, gewährte ihm die Möglichkeit zu entfliehen, und er würde also nicht vor das Schwurgericht kommen, das ihn unbedingt verurteilen mußte. Auch dessen Urteil würde freilich noch verhältnismäßig mild ausfallen, da in Rußland die Todesstrafe abgeschafft ist, solange es sich um Verletzungen des gemeinen Rechtes handelt. Höchstens konnte er
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