Ein Drama in Livland
hatte, als die Nachricht davon nach Riga gedrungen war, kann man sich wohl leicht ausmalen. Herr und Frau Johausen reisten sofort ab, ihren vielleicht gar tödlich getroffenen Sohn zu pflegen. Als sie wieder heimkehrten, entbrannte der Streit mit den Erzfeinden natürlich mit um so größerer Wut.
Fünf Tage später traf übrigens die Wladimir Yanof betreffende Antwort von Petersburg ein.
Man hatte alle Ursache, auf den Edelmut des Kaisers zu zählen. In der Tat wurde der Verbannte, der aus den Bergwerken Sibiriens entflohen war, rückhaltlos begnadigt, und Wladimir Yanof infolgedessen sofort in Freiheit gesetzt.
Dreizehntes Kapitel.
Zweite Hausdurchsuchung.
Die Begnadigung Wladimir Yanofs machte nicht nur in Riga, sondern auch in allen baltischen Provinzen ein ungeheures Aufsehen. Man erkannte darin den Beweis, daß die Regierung ihr Einverständnis mit den antigermanischen Bestrebungen kundgeben wolle. Die arbeitende Bevölkerung gab ihrer Freude darüber unverhohlen Ausdruck. Der Adel und die höhere Bürgerschaft bemängelten die unangebrachte Milde des Kaisers, die, nachdem sie Wladimir Yanof zuteil geworden war, sich jedenfalls auch zugunsten Dimitri Nicolefs geltend machen werde. Gewiß hatte das edelmütige Verhalten des Flüchtlings, der sich seinen Häschern selbst überlieferte, diese Begnadigung und damit seine völlige Rehabilitation, die Wiedereinsetzung in alle bürgerlichen Ehrenrechte verdient, die dieser durch seine politische Verurteilung verloren hatte. Erschien sie aber nicht wie ein wohlberechneter Einspruch gegen die auf dem Lehrer lastende Anklage, gegen die Beschuldigung eines bis dahin ehrenwerten und allgemein verehrten Bürgers, der von der slawischen Partei für die bevorstehenden Wahlen als deren Vertreter ins Auge gefaßt war?
In dieser Weise wurde die kaiserliche Entscheidung wenigstens beurteilt, und der General Gorko machte auch kein Hehl aus seiner damit übereinstimmenden Anschauung.
Jeden Tag begaben sich Jean und Ilka nach der Feste. (S. 183.)
Wladimir Yanof verließ die Rigaische Feste in Begleitung des Obersten Raguenof, der selbst herbeigeeilt war, ihm den Ukas des Zaren mitzuteilen. Er begab sich sofort zu Dimitri Nicolef, und Ilka und ihr Vater erfuhren, da die Neuigkeit bis dahin geheim gehalten worden war, die frohe Botschaft aus seinem eigenen Munde.
Welche Freude, welch innige Dankbarkeit erfüllte da das bescheidene Haus, in das das Glück endlich wieder Einzug zu halten schien!
Fast gleichzeitig mit dem Begnadigten trafen auch der Doktor Hamine, Herr Delaporte und einige Freunde der Familie ein. Wladimir wurde beglückwünscht und von allen herzlich umarmt. Wer dachte in diesem Augenblick an die Beschuldigungen, die noch auf dem Herrn des Hauses ruhten?
»Und wenn Sie auch verurteilt worden wären, sagte Delaporte zu dem Lehrer, von uns würde keiner an Ihrer Unschuld gezweifelt haben!
– Verurteilt! rief der Doktor. Hätte er überhaupt jemals verurteilt werden können?
– Doch wenn ihm das ungerechterweise widerfahren wäre, erklärte Ilka, so würden Wladimir, Jean und ich unser ganzes Leben darangesetzt haben, deine Rehabilitation, liebster Vater, herbeizuführen.«
Dimitri Nicolef, dessen Gesicht durch die Vorgänge der letzten Tage ganz erbleicht war, konnte augenblicklich keine Worte finden. Er fragte sich vielleicht, was man von der unsicherern menschlichen Gerechtigkeit nicht alles erwarten könne. Es gibt ja leider so viele Beispiele ungerechter und oft nicht wieder gut zu machender Urteilssprüche.
Der Abend vereinte die nächsten Freunde Wladimirs und Nicolefs am Teetische. Wie schlugen da die Herzen höher, wie laut erschallten da die Ausbrüche teilnehmender Freude, als Ilka einfach sagte:
»Ich will dein Weib sein, Wladimir sobald du es wünschest!«
Die Hochzeit wurde auf sechs Wochen vom heutigen Tage an festgesetzt, und inzwischen räumte man Wladimir ein Zimmer im Erdgeschoß des Hauses ein. Die Vermögensverhältnisse der beiden Verlobten waren bekannt. Ilka besaß so gut wie nichts und bisher hatte Nicolef auch über seine Lage, über die Verpflichtung gegen die Firma Johausen wegen der Schulden seines Vaters geschwiegen. Strenge Sparsamkeit hatte es ihm ermöglicht, ein gutes Teil davon abzutragen, und er hoffte noch immer, auch den Rest bezahlen zu können. Deshalb hatte er seinen Kindern nichts davon gesagt, und deshalb wußten diese also nicht, daß der letzte Betrag von achtzehntausend Rubeln nach vierzehn Tagen
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