Ein Drama in Livland
fällig sein würde. Jetzt mußte er sich wohl zu einer Eröffnung der Sachlage entschließen. Wladimir konnte über eine, die Familie so arg bedrohende Gefahr nicht in Unwissenheit gelassen werden. Diese Mitteilung war jedenfalls nicht dazu angetan, seine Gefühle für das junge Mädchen zu ändern. Mit der für ihn hinterlegten und ihm von Dimitri Nicolef ausgehändigten Summe würde er ja alles abzuwarten und durch Fleiß und Intelligenz auch für die Zukunft zu sorgen wissen.
War die Familie Nicolef jetzt glücklich, ja glücklicher, als sie es je wieder zu werden gehofft hatte, so war in der Familie Johausen ganz das Gegenteil der Fall. Wohl konnte man dort erwarten, daß der schwer verletzte Karl durch gute Pflege mit der Zeit wieder genesen würde, und es war jetzt auch schon möglich gewesen, ihn nach Riga überzuführen. In dem Kampfe aber, den Frank Johausen gegen den Lehrer führte, den er bereits vernichtet zu haben glaubte, fühlte der reiche Mann den Sieg ihm entschwinden. Es gewann mehr und mehr den Anschein, als ob die schrecklichen Waffen, deren sich zu bedienen sein Haß nicht gezögert hatte, ihm unter den Händen zerbrächen. Die Geldverlegenheit seines Rivalen, dessen Schuld am Verfallstage voraussichtlich nicht beglichen wurde… das war noch das einzige, was ihm übrig blieb, seinen politischen Gegner zu vernichten.
Die öffentliche Meinung – vor allem die Anschauung der Leute, die an der Sache nicht beteiligt waren und ohne Voreingenommenheit urteilten – neigte sich jetzt mehr und mehr dahin, an die Unschuld Dimitri Nicolefs zu glauben.
Dagegen häufte sich der Verdacht eher auf den Inhaber des Kabaks »Zum umgebrochenen Kreuze«.
Schloß man einmal das Eingreifen eines Übeltäters von außen her aus, so blieb der Verdacht tatsächlich zunächst an Kroff haften. Ob sein Vorleben für oder gegen den Mann sprach?… Eigentlich war weder das eine noch das andere der Fall. Kroff stand in dem Rufe eines ungebildeten und gewinnsüchtigen Mannes. Wenig gesprächig, stets verschlossen, lebte er allein, ohne Familie in der vereinsamt liegenden, gewöhnlich nur von Bauern und Waldarbeitern besuchten Schenke. Sein Vater und seine Mutter, die von deutscher Herkunft waren, jedoch – was in den baltischen Provinzen nicht so selten ist – der orthodoxen Kirche angehörten, hatten von dem Ertrage dieser Schenke nur recht ärmlich leben können. Das Haus und das eingezäunte Gärtchen… das war alles, was er von ihnen geerbt hatte und was auf keinen Fall den Wert von tausend Rubeln überstieg. Kroff hauste hier als Hagestolz, ohne Knecht oder Magd, verrichtete alle vorkommenden Arbeiten persönlich und verließ seine Schenke nur, wenn er sich in Pernau mit neuen Vorräten versorgen wollte.
Der Richter Kerstorf hatte einen gewissen Verdacht gegen den Schenkwirt noch niemals aufgegeben. Niemand wußte freilich, ob dieser begründet war und ob Kroff ihn nicht hatte dadurch von sich ablenken wollen, daß er den mit dem Bankbeamten eingetroffenen Reisenden beschuldigte. Er konnte es ja auch selbst gewesen sein, der die Schrammen am Zimmerfenster eingeritzt und das Schüreisen nach dem Aufbrechen des Ladens wieder in den Kamin gestellt hatte, er konnte der Urheber des Verbrechens sein, ob dieses nun vor oder nach dem Weggange Dimitri Nicolefs verübt worden war, auf den sich, dank den listigen Maßregeln des Schenkwirtes, dann die Aufmerksamkeit der Behörden in erster Linie hinlenken mußte. Immerhin zeigte sich eine neue, der Verfolgung werte Fährte, die vielleicht zum Ziele führte, wenn man vorsichtig vorging.
Nachdem Dimitri Nicolef seit dem Auftauchen Wladimir Yanofs bezüglich des noch unaufgeklärten Falles kaum noch in Frage kam, mußte Kroff ja fürchten, daß seine eigene Lage nicht mehr so ganz klar und sicher war. Auf jeden Fall mußte der Urheber des Verbrechens ermittelt werden, und da konnte er jedenfalls noch einmal in Untersuchung gezogen werden.
Nach der Mordtat hatte der Schenkwirt bekanntlich sein Haus nur verlassen, als er sich nach dem Amtszimmer des Untersuchungsrichters begab. Obwohl er eigentlich frei war, fühlte er sich doch argwöhnisch überwacht von den Polizisten, die Tag und Nacht nicht aus dem Kabak wichen. In die verschlossenen Zimmer des Reisenden und Pochs, zu denen sich die Schlüssel in der Verwahrung der Kriminalpolizei befanden, hatte bisher niemand eintreten können. Darin stand und lag also alles noch ebenso, wie bei der ersten Aufnahme des
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