Ein Drama in Livland
Herr Major?
– Hier sind sie, Herr Kerstorf.«
Der Major brachte dabei die Schlüssel, die im Polizeibureau aufbewahrt worden waren, aus der Tasche.
Die Tür des Zimmers, worin der Bankbeamte den Tod gefunden hatte, wurde geöffnet.
Hier befand sich alles noch in demselben Zustande, wie man es nach der ersten Besichtigung verlassen hatte. Davon konnte man sich leicht überzeugen, sobald die Fensterläden aufgeschlagen waren. Das Bett lag noch in Unordnung da, das Kopfkissen mit seinen Blutflecken ebenso, und auf dem Fußboden zog sich ein jetzt braunroter Streifen bis zur Tür hin. Eine Spur von sich hatte der Mörder, wer das auch sein mochte, nicht zurückgelassen.
So wurden die Läden also wieder geschlossen, und Kerstorf, der Major, der Brigadier und Kroff gingen zunächst nach der Gaststube zurück.
»Nun wollen wir das andere Zimmer besichtigen,« sagte der Richter.
Zuerst wurde dessen Tür in Augenschein genommen. An der Außenseite zeigte sich nichts auffälliges. Die in den Kabak verlegten Polizisten konnten auch erklären, daß niemand versucht hätte, sie zu öffnen. Keiner der beiden Leute hatte seit vierzehn Tagen das Haus auch nur auf einen Augenblick verlassen.
Das Zimmer lag in tiefer Finsternis.
Der Brigadier Eck ging nach dem Fenster, öffnete dieses, schob den Riegel der Ladenflügel zurück und schlug diese nach der Mauer zu auf, so daß nun ein heller Lichtstrom hereinflutete.
Auch hier war seit der vorigen Besichtigung keine Veränderung zu bemerken. Im Hintergrunde stand das Bett, worin Dimitri Nicolef geschlafen hatte, und neben dessen Kopfende ein grober Tisch mit einem eisernen Leuchter und einer halb niedergebrannten Unschlittkerze. Ein Stuhl mit Strohgeflecht stand in der einen, ein Schemel in der anderen Ecke, zur Rechten ein Schrank mit geschlossener Tür. An der letzten Wand war der Kamin angebracht, eigentlich nur eine Art Herd aus zwei größeren, flachen Steinen.
Man besichtigte den Garten mit größter Sorgfalt. (S. 191.)
Darüber der am unteren Teile erweiterte Rauchfang, der sich verengernd als Schornstein bis über das Dach hinaus fortsetzte.
Das Bett wurde genau besichtigt, zeigte aber, wie das vorige Mal, nichts, was einen Verdacht hätte erwecken können. In dem Schranke und dessen Schubkästen fand sich weder ein Kleidungsstück noch ein Papier vor: er war vollständig leer.
Der an der Ecke der Feuerstätte lehnende Schürhaken wurde sorgfältig betrachtet. Ohne Zweifel konnte er, da sein Ende etwas verbogen war, zum Aufbrechen des Ladens am anderen Fenster gedient haben. Freilich hätte auch, bei dem schlechten Zustande des Ladens, jedes andere Werkzeug, ja schon einfach ein Stock genügt, diesen aufzusprengen. Die Schrammen auf der Fensterbank wurden ebenso wie früher wiedergefunden, doch bewiesen sie denn, daß eine Person hier eingedrungen wäre?… Bestimmt behaupten ließ sich das wenigstens nicht.
Der Richter trat noch einmal an den Herd heran.
»Hat jener Reisende hier Feuer gehabt? fragte er.
– Nein, gewiß nicht, versicherte Kroff.
– Und sind die Aschenreste hier das vorige Mal untersucht worden?
– Ich glaube nicht, antwortete der Major Verder.
– So mag es jetzt geschehen.«
Der Brigadier beugte sich über die Herdfläche und bemerkte dabei links hinten darauf ein halbverbranntes Stück Papier, ursprünglich von viereckiger Form, von dem jetzt freilich nur noch ein Eckstück übrig, das sonst aber zu Zunder verwandelt war.
Wie erstaunten aber alle, als man in diesem Papierstückchen den Rest eines Schatzbankscheines erkannte! Kein Zweifel, es handelte sich hier um ein Staatsbankpapier zu hundert Rubeln, dessen Nummer leider vom Feuer zerstört war, doch von welchem anderen als der Flamme der auf dem Tische stehenden Kerze, da im Kamin kein Feuer angezündet worden war?
Das Papierstück war überdies mit Blut besudelt.
Ohne Zweifel rührten die Flecke von den Händen des Mörders her, von dem, der den Schein wegen der Blutspuren darauf verbrannt hatte. Woher konnte das Bankbillett aber stammen, wenn nicht aus der Mappe des unglücklichen Poch? Der Umstand, daß es nicht gänzlich verbrannt war, machte es zu einem recht schwerwiegenden Beweisstücke.
Erschien jetzt noch ein Zweifel erlaubt?… Wie hätte man noch annehmen können, daß der Mord von einem der von außen eingedrungenen Verbrecher verübt worden sei? Lag es nicht vielmehr klar auf der Hand, den Mörder in dem Reisenden zu sehen, der das Nebenzimmer bewohnt
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