Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
hatte, der dann in dieses zurückgekehrt und endlich am Morgen um vier Uhr weggegangen war?
    Der Major und der Brigadier sahen einander an wie Leute, deren Überzeugung schon seit längerer Zeit feststeht. Da Kerstorf aber noch schwieg, gaben sie dieser durch kein Wort Ausdruck.
    Nur Kroff konnte sich jetzt nicht mehr bemeistern.
    »Da… was hatte ich Ihnen gesagt. Herr Richter? rief er. Können Sie jetzt noch an meiner Schuldlosigkeit zweifeln?«
    Kerstorf steckte den Rest des Kassenscheines als ein Beweisstück in sein Notizbuch.
    »Die Untersuchung, meine Herren, begnügte er sich zu antworten, ist hiermit beendet. Wir wollen also ohne Säumen aufbrechen.«
    Eine Viertelstunde später rollte der Wagen schon auf der Landstraße nach Riga dahin; nur die beiden Polizisten waren zur ferneren Überwachung des Kabaks »Zum umgebrochenen Kreuze« zurückgeblieben.
    Am nächsten Tage wurde Frank Johausen schon zu früher Stunde von dem Ergebnis der Hausdurchsuchung benachrichtigt. Da die Nummer des verbrannten Schatzscheines zerstört war, ließ es sich nicht nachweisen, ob dieser zu denen gehört hatte, deren Nummern im Bankhause aufgeschrieben worden waren. Da er aber zweifellos der Serie angehört hatte, von der Poch damals eine größere Anzahl mit sich führte, mußte man fast unbedingt annehmen, daß er aus dessen Dokumentenmappe gestohlen war.
    Die neue Entdeckung verbreitete sich blitzschnell. Vor allen andern waren die Freunde Dimitri Nicolefs darüber fast versteinert. Die ganze Angelegenheit bekam jetzt ein anderes Gesicht oder nahm vielmehr ihr erstes wieder an. Welch schwere Prüfungen standen nun der Familie noch bevor, die schon von solchen verschont zu bleiben geglaubt hatte!
    Die Parteigänger Johausens triumphierten in lärmendster Weise. Ihrer Ansicht nach mußte die Verhaftung Dimitri Nicolefs jetzt unverzüglich angeordnet werden, und dieser würde, vor Gericht gestellt, der schweren Strafe nicht entgehen können, die das ruchlose Verbrechen verdiente.
    Wladimir Yanof wurde durch den Doktor Hamine von dem neuen Zwischenfall in Kenntnis gesetzt; beide beschlossen aber, gegen Nicolef darüber zu schweigen. Dieser würde ja so wie so zeitig genug erfahren, welchen neuen Beschuldigungen er wieder ausgesetzt wäre. Wladimir hätte gern verhindert, daß diese Gerüchte seiner Verlobten zu Ohren kämen. Das erwies sich aber als unmöglich, und noch an demselben Tag traf er sie fast aufgelöst in bitterstem Schmerze.
    »Mein Vater ist unschuldig!… Mein Vater ist unschuldig! rief sie wiederholt, war aber nicht imstande, ein anderes Wort hervorzubringen.
    – Ja… gewiß, liebste Ilka, das ist er, und wir werden den Schuldigen schon entdecken und alle, die ihn anklagen, besiegen. Wahrlich, ich frage mich, ob alles das nicht nur ein gemeiner, hinterlistiger Anschlag ist, den besten und ehrbarsten der Menschen zu vernichten.«
    Auf derartige Gedanken konnte ein Mann mit so edlem Charakter recht wohl kommen. Er wußte ja, wie weit politischer Haß sich verirren kann. Und doch, was wies darauf hin, daß ein solch heimtückischer Anschlag hier vorläge, und war denn zu befürchten, daß dessen Zweck je erreicht werden könnte?
    Was geschehen sollte, geschah.
    Am Nachmittage wurde Dimitri Nicolef nach dem Bureau des Untersuchungsrichters bestellt. Er begab sich sofort nach dem Wohnzimmer hinunter, wo Wladimir und Ilka ihn von dem Vorgefallenen unterrichteten.
    »Noch einmal diese Geschichte! rief er, die Achseln zuckend. Nimmt sie denn kein Ende?
    – Man wird von dir eine neue Zeugenaussage erwarten, lieber Vater, sagte das junge Mädchen.
    – Wünschen Sie, daß ich Sie begleite? fragte Wladimir.
    – Nein, ich danke dir, Wladimir.«
    Der Privatlehrer verließ das Haus schnellen Schrittes und betrat schon nach einer Viertelstunde das Bureau des Richters.
    Dieser befand sich jetzt hier mit einem Aktuar allein. Infolge einer Verhandlung mit dem Gouverneur und dem Obersten Raguenof sollte der Lehrer zunächst nur einem zweiten Verhöre unterworfen werden, während seine etwaige Verhaftung der Entschließung des Richters anheimgegeben wurde.
    Kerstorf nötigte Nicolef, Platz zu nehmen.
    »Herr Nicolef, begann er dann mit einer Stimme, die eine gewisse Erregung erkennen ließ, gestern hat in meinem Beisein in der Schenke ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ eine zweite Hausdurchsuchung stattgefunden. Die Polizisten haben das ganze Anwesen gründlichst durchsucht, ohne daß sich dabei etwas Verdächtiges gefunden hätte.

Weitere Kostenlose Bücher