Ein Drama in Livland
hinaus.
– Kroffs oder jedes beliebigen andern. Meine Sache ist es übrigens nicht, den Schuldigen zu ermitteln: ich habe mich nur zu verteidigen, und das tue ich!«
Auf Kerstorf machte das Verhalten und Auftreten Dimitri Nicolefs offenbar tiefen Eindruck. Was dieser eben sagte, hatte er sich ja schon vielmals selbst gesagt. Nein… er weigerte sich, einen Mann von so ehrenhaftem Vorleben schuldig zu finden. Und dennoch hatten, wenn er Kroff als Täter annahm, die Hausdurchsuchungen, die sonstigen Ermittelungen und die Zeugenaussagen nichts ergeben, was den Schenkwirt belastet hätte. Darauf wies der Richter auch Nicolef im Laufe des Verhörs hin, das sich noch über eine Stunde ausdehnte.
»Herr Richter, sagte endlich der Lehrer, an Ihnen ist’s, zu entscheiden, auf wen von uns – ob auf Kroff oder mich – der größte Verdacht fällt. Jeder, der gerecht urteilt und die Sachlage unbefangen betrachtet, muß zugeben, daß ich das nicht bin. Aus Gründen, die Ihnen heute bekannt sind, habe ich früher über den Zweck meiner Reise schweigen müssen. Sie kennen diese Gründe, seit Wladimir Yanof sich eingefunden und sie Ihnen mitgeteilt hat. Das war in der Sache, soweit sie mich berührt, der dunkle Punkt, der inzwischen aufgehellt worden ist. Ob nun der Schenkwirt oder ein von außen eingedrungener Unhold der Urheber des Verbrechens ist, das hat das Gericht zu entscheiden. Ich selbst setze in die Schuld Kroffs allerdings keinen Zweifel. Der Mann wußte, daß Poch sich zur Begleichung einer Zahlung für Rechnung der Gebrüder Johausen nach Reval begeben wollte, er wußte, daß dieser der Überbringer einer beträchtlichen Summe war, ihm war bekannt, daß ich früh um vier Uhr schon wieder aufbrechen wollte, kurz, er wußte alles, was er dazu brauchte, den Mord auszuführen und die Verantwortlichkeit dafür dem mit dem Bankbeamten eingetroffenen Reisenden zuzuwälzen. Er kann den Unglücklichen schon vor oder nach meinem Weggange ermordet haben. Dann mag er in mein Zimmer gegangen sein, den Rest des Kassenscheins auf den Kaminherd geworfen und überhaupt alles darauf eingerichtet haben, daß der Schein der Schuld auf mich fallen mußte. Glauben Sie nun immer noch, daß ich Pochs Mörder bin, so nehmen Sie mich in Hast und stellen mich vor die Geschwornen. Ich werde da Kroff beschuldigen. Es kann sich nur um einen Kampf zwischen uns beiden handeln, und ich wüßte nicht, was ich von dem Gerechtigkeitssinne der Menschheit denker sollte, wenn ich es wäre, den man verurteilte!«
Das Papierstück war überdies mit Blut besudelt. (S. 195.)
Dimitri Nicolef hatte seine Anschauungen, die ihn – seiner Ansicht nach – doch rechtfertigen sollten, gar nicht besonders lebhaft zum Ausdruck gebracht. Kerstorf hatte ihn auch nicht unterbrochen, und als der Lehrer zum Schluß die Frage hinwarf: »Werden Sie meinen Verhaftsbefehl unterzeichnen?« antwortete er ruhig:
»Nein, Herr Nicolef!«
Vierzehntes Kapitel.
Schlag auf Schlag.
Es lag jetzt klar auf der Hand, daß bei der ganzen Angelegenheit nur noch der Schenkwirt Kroff und der Privatlehrer Dimitri Nicolef in Frage kamen. Das Restchen des in einer Ecke der Feuerstatt gefundenen Papiers schloß jeden Gedanken daran aus, daß das Verbrechen von einem jener Landstreicher begangen sein könnte, die nach den polizeilichen Meldungen diesen Teil der Provinz Livland unsicher machten. Wie wäre es nach der Mordtat einem jener umherlungernden Gesellen möglich gewesen, unbemerkt in das Zimmer des Reisenden einzubrechen und das Schüreisen darin niederzulegen, da man doch annehmen mußte, daß dieses zum Aufsprengen des Ladens gedient hatte, wie hätte ein solcher auf den Herd das Blatt Papier werfen können, das bis auf den in der Asche gefundenen Rest verbrannt war? Und wenn Dimitri Nicolef und Kroff noch so fest geschlafen hätten, wie wäre es denkbar, daß sie von all dem Vorgegangenen gar nichts gehört hätten? Und wie sollte endlich ein unbekannter Verbrecher auf den Gedanken gekommen sein, die Verantwortung für seine Schandtat auf den (zweiten) Reisenden zu wälzen?… Nach dem Morde und dem Gelingen des Raubes wäre ein solcher doch sicherlich schnellstens entflohen und hätte sich bei Tagesanbruch schon weit vom Kabak »Zum umgebrochenen Kreuze« befunden.
Das lehrte ja der gesunde Menschenverstand. Die Untersuchung mußte sich also auf die beiden, in ihrer gesellschaftlichen Stellung so verschiedenen Männer beschränken und zwischen ihnen die Entscheidung
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