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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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treffen.
    Auch die ruhigsten Gemüter versetzte es jedoch in eine gewisse Aufregung, daß nach der zweiten Hausdurchsuchung in der Schenke gegen keinen von beiden ein Verhaftsbefehl ergangen war.
    Natürlich fand nach den neuerlichen Ergebnissen der Durchsuchung des Kabaks die verschiedene Stimmung der Parteien desto leidenschaftlicheren Ausdruck. Die ganze Sache spitzte sich bei der in zwei Lager gespaltenen Allgemeinheit jetzt nur noch mehr zu, und zwar nicht allein in der Stadt Riga, sondern auch in allen drei Gouvernements der baltischen Provinzen.
    Dimitri Nicolef war Slawe, und die Slawen traten ebenso im Interesse ihrer Partei, wie auch deshalb für ihn ein, weil sie ihn des Verbrechens wirklich nicht für fähig halten konnten.
    Kroff war germanischer Abstammung und die Deutschgesinnten traten als seine Verteidiger auf… mehr um Dimitri Nicolef zu bekämpfen, als daß sie Interesse für den Inhaber einer ärmlichen Landstraßeschenke gehabt hätten.
    Je nach der Anschauung, die sie verteidigten, brachten die Tagesblätter unausgesetzt aufregende Artikel. Man ereiferte sich über die Angelegenheit in den vornehmen Häusern der oberen Gesellschaftsklasse, in den bescheidenen Wohnungen der niederen Bürgerschaft, in den Schreibstuben der Kaufleute und in den Hütten der Arbeiter und Tagelöhner.
    Die Lage des Generalgouverneurs wurde unter diesen Umständen immer mißlicher. Die städtischen Wahlen standen nahe bevor. Lärmend und mit zunehmender Begeisterung entschieden sich die Slawen für Dimitri Nicolef als ihren Kandidaten, den sie Frank Johausen jetzt nur um so entschiedener gegenüber stellten.
    Die Familie des reichen Bankiers, seine Freunde und seine Kunden waren weit davon entfernt, den Kampf aufzugeben, sie führten ihn vielmehr mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln weiter. Ihnen stand – das darf nicht verschwiegen werden – die Macht des Geldes zur Seite und sie machten davon bezüglich der Blätter ihrer Partei den ausgedehntesten Gebrauch. Staats-und Stadtbehörden wurden da unverzeihlicher Schwäche, sogar der Parteilichkeit geziehen. Man forderte die Verhaftung Dimitri Nicolefs, und die, die eine ganz gemäßigte Sprache führten, verlangten wenigstens, daß der Schenkwirt und auch der Lehrer hinter Schloß und Riegel gesetzt würden. So war es von größter Wichtigkeit, daß die Angelegenheit in dem einen oder anderen Sinne Erledigung fände, ehe die Parteien auf dem Kampfplatze der Wahlen aneinanderstießen, und die Abstimmung, die zum ersten Male unter so gespannten Verhältnissen erfolgen sollte, stand jetzt schon vor der Tür.
    Wie stand es nun inmitten dieses Konfliktes, von dem er kaum eine Ahnung hatte, mit dem Schenkwirte Kroff?
    Den Kabak, wo die Polizisten noch immer streng Wache hielten, konnte er nicht verlassen, so betrieb er seine Wirtschaft unverändert weiter, und jeden Abend kamen seine Kunden, Bauern und Holzfäller, wie vorher in der großen Gaststube zusammen. Immerhin schien es, als ob die Lage der Dinge ihn ein wenig beunruhigte. Ließ man den Lehrer unbehelligt umhergehen, so fürchtete er dafür, in Haft genommen zu werden. Noch unzugänglicher als gewöhnlich, schlug er vor jedem fest auf ihn gerichteten Blick die Augen nieder und beschuldigte Nicolef mit einem Eifer, einer Hartnäckigkeit und mit einer Wut, die ihm das Blut nach dem Kopfe stürmen ließen, so daß man fürchten konnte, er werde vom Schlage getroffen werden.
    Gewöhnlich herrscht helle Freude in einem Hause, wo man sich zur Feier einer Hochzeit rüstet, und eine festliche Stimmung beherrscht darin die gesamte Familie. Durch weit geöffnete Fenster läßt man Luft und Heiterkeit hereinströmen. Überall leuchtet und glänzt es von Glück.
    In der Wohnung Dimitri Nicolefs war das freilich nicht der Fall. Vielleicht dachte er zwar kaum noch an die Angelegenheit, die sein ruhiges Leben so grausam erschüttert hatte, doch hatte er nicht das Schlimmste von seinen unerbittlichen Gläubigern, von seinen Todfeinden zu befürchten?
    Seit dem letzten Verhör im Amtszimmer des Richters Kerstorf waren nun sieben Tage verflossen. Man schrieb den 13. Mai. Am nächsten Tage war der von Nicolef unterschriebene Schuldschein in fällig. Erschien er am folgenden Morgen nicht mit achtzehntausend Rubeln in der Hand an der Kasse der Gebrüder Johausen, so stand ihm ein gerichtlicher Zahlungsbefehl in Aussicht. Diese Summe besaß er aber nicht, und seine Kinder wußten nichts von der Verbindlichkeit, die auf ihm

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