Ein düsteres Weihnachtsmärchen (German Edition)
döste vor sich hin. Das Wollhörnchen genoss die Wärme der Hütte.
Julian leerte seinen Becher Milch auf einen Zug. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund und stellte den Becher auf den kleinen Tisch vor ihm. „Großvater …“. Er machte eine kurze Pause. „Ich würde dich gerne etwas fragen.“
Der Graubart musterte seinen Enkel. „In Ordnung. Und was möchtest du mich fragen?“
Julian fuhr fort: „Ich weiß nicht, wie ich es am besten erkläre. Also … ich habe letztes Jahr, am Weihnachtstag, etwas Merkwürdiges beobachtet.“ Er zögerte.
„Und weiter.“ Der Großvater wollte mehr wissen.
„Du weißt ja, am Tag vor den Heiligen Abend stellt man einen Teller mit Plätzchen auf den Tisch, damit der Weihnachtsmann sich daran stärken kann. Das habe ich zusammen mit Mama und Papa auch letztes Jahr wieder getan. Wir haben den Teller schön angerichtet und dann, als ich später, kurz bevor ich ins Bett musste, nochmal in die Wohnstube schaute, da … ich sah keinen Teller mit Plätzchen mehr, aber dafür einen Teller voll mit verwestem Fleisch. Seit diesem Tag lässt mich der Anblick nicht mehr los. Ich muss wissen, was das zu bedeuten hat!“
Der Großvater machte ein besorgtes Gesicht, so als hätte Julian etwas Schreckliches ausgesprochen. „Mein Junge … wenn ich mich recht erinnere, hast du mich schon einmal darauf angesprochen. Vergiss einfach, was du da gesehen hast.“
„Vergessen? Großvater, du kennst mich ganz genau, ich werde das nicht vergessen. Wer könnte das auch schon. Ich habe mir auf jeden Fall vorgenommen, dieses Jahr das Geheimnis zu lüften!“ Er schaute zu seiner Freundin. „Hannah wird mir dabei helfen. Wir werden uns heute Nacht aus unseren Zimmern schleichen und beobachten, was bei uns in den Wohnstuben passiert.“
„Nein!“, entfuhr es dem Großvater mit fast panischer Stimme. „Ihr werdet in euren Zimmern bleiben!“
Hannah und Julian blickten sich an. Sogar Wolly war kurz hochgeschreckt, von dem lauthalsen Tonfall des alten Mannes. Langsam dämmerte es den Kindern, dass der Großvater etwas wusste. Julian bohrte nach. „Wieso? Wir sind doch schon zwölf, da können wir doch mal einen Blick riskieren.“
„Auf keinen Fall! Ihr wisst, der Weihnachtsmann möchte das nicht.“
„Aber scheinbar verdorbenes, rohes Fleisch.“ Der Junge ließ nicht locker. „Irgendetwas stimmt doch nicht. Wir müssen es einfach wissen. Kannst du uns etwas dazu sagen?“
Großvater Maximilian seufzte. „Ja … also gut. Mir bleibt ja nichts anderes übrig, bevor ihr noch wirklich diesen Unsinn macht.“ Er holte tief Luft. „Das, was ich euch jetzt erzählen werde, ist ein düsteres Geheimnis. Ein Geheimnis, dass nur die Erwachsenen in Winterland kennen und das nicht für Kinderohren bestimmt ist. Dennoch will ich euch nun Rede und Antwort stehen. Ich denke, ihr seid so weit, um es zu erfahren.“
Julian und Hannah spitzten die Ohren. Endlich kam es heraus.
Der Großvater erzählte weiter: „Vor vielen Jahren, es ist schon sehr lange her, ich war damals noch ein kleiner Junge, da rastete das fahrende Volk in Tanngrün. Es herrschte buntes Treiben. Die Händler verkauften Obst und Gemüse, und die Spielleute sorgten für Unterhaltung und Zeitvertreib. Doch nicht nur das, auch die schwarzen Künste waren vertreten. Eine alte Wahrsagerin, die in einem der Wägen ihren Blick in die Zukunft anbot, war für viele Menschen eine gelungene Abwechslung. Nur selten verirrten sich solch bunte Wagenzüge in unsere Gegend.
Eines Tages, die Vagabunden lagerten schon zwei Wochen am Ortsrand, wollte die Tochter des Bürgermeisters ihre Zukunft wissen. Sie suchte die alte Wahrsagerin in ihrem Wagen auf. Niemand weiß genau, was dort geschah, aber als die junge Frau den Wagen verließ, war sie völlig verstört. Die Wahrsagerin hatte ihr eine schreckliche Zukunft vorausgesagt. All die Bemühungen ihrer Eltern und Verwandten, sie wieder zu beruhigen, scheiterten. Schließlich nahm sich die junge Frau das Leben.
Aus Wut und Zorn auf die Wahrsagerin, wiegelte der Bürgermeister die Bevölkerung gegen die Lagerer auf. Sie vertrieben sie mit Waffengewalt. Die Wahrsagerin nahmen sie allerdings gefangen und verurteilten sie zum Tode durch den Strang.“
Julian und Hannah blickten entsetzt zum Großvater. Der Graubart sprach weiter: „Ja, ihr habt richtig gehört. Man muss dazu sagen, dass es die letzte Hinrichtung war, die in Tanngrün durchgeführt wurde. Und Gott bewahre, ich
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