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Ein dunkler Gesang

Ein dunkler Gesang

Titel: Ein dunkler Gesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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vieles, was Merrily nicht wusste, aber sie kam der Sache langsam näher.
    Sie drückte gegen die Flügeltür, die in den Kirchenraum führte. Die Türen gaben nicht nach.
    Abgeschlossen?
    Hatte er sich eingeschlossen?
    Merrily klopfte.
    «Syd?»
    Sie hörte seine Schritte auf den Steinplatten. Sie hielten an, und Merrily spürte, wie er von der anderen Seite aus die Tür ansah.
    «Hier ist Merrily. Lassen Sie mich herein?»
    Es musste mindestens eine halbe Minute vergangen sein, bevor sie hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte und sich seine Schritte wieder entfernten.
    Als sie die Türflügel aufschob, stand er in dem weiten Halbkreis des Chorgestühls an der Kanzeltreppe. Er trug seine Soutane, und Merrily dachte, was für ein besonders behinderndes Kleidungsstück das für einen Mann sein musste, der früher im berühmtesten Spezialeinsatzkommando der Armee gekämpft hatte.
    Mit ausgebreiteten Armen ließ er seinen Blick über die leeren Bänke, die Kanzel und die Orgelpfeifen schweifen, die wie riesige Stabmuschelschalen aufragten.
    «Können
Sie
irgendetwas dagegen machen?»
    Es war nichts zu sehen. Aber Merrily roch den Weihrauch.

41 Das Andenken hüten
    Das Wohnstift
The Glades
war ein ehemaliges Herrenhaus aus der viktorianischen Zeit und stand in der Nähe der walisischen Grenze. Von hier aus hatte man einen großartigen Ausblick auf die Hügel von Radnorshire und die prächtigen langen Sonnenuntergänge.
    Lol hatte vor seiner Abfahrt Jane hinterhergesehen, die in ihrer Schuluniform die Straße hinunter zu Gomers Bungalow gegangen war. Mädchen in Uniform, gab es da eigentlich immer sexuelle Phantasien? Lol selbst hatte für jegliche Art Uniformen überhaupt nichts übrig, und vor allem nicht für Krankenschwesterntrachten. Es hatte ihn beim ersten Mal echte Überwindung gekostet, eine Frau mit Priesterkragen zu küssen.
    Als er aus dem Auto gestiegen war, kam eine Frau auf ihn zu. Sie war Ende fünfzig, ihr blondes Haar kinnlang geschnitten.
    «Brenda Cardelow», sagte sie. «Mr. Robinson?»
    Die alten Betreiber von
The Glades
waren seit über einem Jahr nicht mehr da, hatte ihm Mrs. Cardelow am Telefon erklärt.
Burn-out.
    «Sie können sich glücklich schätzen, Mr. Robinson. Sie erinnert sich anscheinend an Sie. Üblicherweise behauptet sie, keinen ihrer Besucher zu kennen.»
    «Das ist eines der Privilegien des Alters», sagte Lol, aber Mrs. Cardelow wirkte nicht überzeugt.
    «Ich habe sie gebeten, in den Aufenthaltsraum herunterzukommen, aber sie besteht darauf, in ihrem eigenen Zimmer mit Ihnen zu sprechen. Ich hoffe, Sie sind auf alles gefasst.»
    «Ich war noch nie in ihrem Zimmer, aber ich habe schon einiges darüber gehört.»
    «Das kann ich mir denken», sagte Mrs. Cardelow.
     
    Die alte Dame trug eine schwarze Wolljacke und einen schwarzen Wollrock. Der flauschige Schal um ihren Hals war ebenfalls schwarz. Ihre Augen waren klar und strahlend wie geschliffene Diamanten. Sie saß auf einem breiten Fenstersitz zwischen Kissen, Büchern, ägyptischen Tapisserien und türkischen Wandteppichen wie eine winzige, möglicherweise bösartige Spinne aus dem Märchenbuch.
    «Robinson.»
    Mit dem Zeigefinger, dessen blutroter Nagel spitz gefeilt war, winkte sie ihn heran. Die Luft war erfüllt von Weihrauch.
    «Miss White», sagte Lol.
    «
Natürlich
erinnere ich mich an ihn.» Miss White warf Mrs. Cardelow einen giftigen Blick zu. «Er war der ängstliche Möchtegernliebhaber einer ungewöhnlich attraktiven Geistlichen. Wie geht’s, Robinson? Schon unter der Soutane gewesen?»
    «Anthea!» Mrs. Cardelow wandte sich an Lol. «Sie glauben, wenn sie ihre Hemmungen fallenlassen, könnten sie damit die Senilität verzögern, aber nach meiner Erfahrung bricht sie dann nur umso schneller aus.»
    «Sie werden
lange
vor mir geistig verwirrt sein», sagte Miss White.
    «Ja», sagte Mrs. Cardelow betrübt. «Ich fürchte, damit könnten Sie recht haben.»
    «Es hat ja schon angefangen. Sie nennen mich immerzu Anthea.»
    «Das steht schließlich in Ihrem Rentenbescheid.»
    «Das ist ein Druckfehler. Gehen Sie, Frau Gefängnisdirektor. Schließen Sie die Zelle ab, wenn es sein muss, aber lassen Sie uns allein.»
    Mrs. Cardelow sah Lol mit hochgezogener Augenbraue märtyrerhaft an, bevor sie hinausging. Lol ließ sich auf einem Klavierschemel nieder. Ein Klavier war jedoch nicht im Zimmer.
    «Und? Was macht die schwarze Magie?», fragte er.
    Miss White kicherte. Lol erinnerte sich daran, wie

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