Ein dunkler Gesang

Kampagne gegen die örtlichen Behörden sie in ernsthafte …»
    Er musste Merrilys scharfes Einatmen gehört haben.
    «Überrasche ich Sie damit, Mrs. Watkins?»
    «Also …»
    «Könnte es sein, dass Sie nichts von Janes sporadisch auftretender
Migräne
wissen?»
    «Migräne.»
    Merrily schloss die Augen. Auch mit heruntergekurbelten Fenstern war es unerträglich heiß im Auto.
Migräne?
    «Ich nehme an, Ihr seltsamer Beruf führt dazu, dass Sie zurzeit nicht viel zu Hause sind.» Morrells Stimme triefte vor Genugtuung. «Aber Sie müssen schon einsehen, dass man so etwas nicht abtun darf. Ich bin zwar ein sehr liberaler Schulleiter, aber wenn ich meinen Schülern erlaube, zu kommen und zu gehen, wie es ihnen gefällt, untergrabe ich meine eigene Autorität. Ich erwarte daher, Jane Watkins am Montagmorgen vor meinem Büro anzutreffen, und zwar mit einer ausführlichen Erklärung, einer ernsthaften Entschuldigung und der Bereitschaft, jede Strafe zu akzeptieren, die ich für angemessen halte.»
    «Ich verstehe.»
    «Und wenn das nicht geschieht, muss ich Ihnen sagen, erwarte ich, Jane hier überhaupt nicht mehr zu sehen.»
    «Reden Sie von einem Unterrichtsausschluss?»
    «Oh, ich rede von
viel mehr
als einem Unterrichtsausschluss, Mrs. Watkins. Selbstverständlich werde ich das übliche Verfahren einhalten und mit dem Schulbeirat darüber sprechen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch einen Anruf in der Leitung.»
    «Nein»
, sagte Merrily. «Wenn Sie jetzt auflegen, dann …»
    Was dann?
Sie schwitzte. Er konnte den Schulbeirat mit Leichtigkeit in die Tasche stecken.
    Totenstille.
    «Wenn Sie jetzt auflegen, Mr. Morrell … oder irgendetwas gegen meine Tochter unternehmen, bevor ich die Gelegenheit hatte, der Sache nachzugehen … Verdammt, Sie haben dort Jugendliche, die auf dem Schulhof dealen oder Lehrer angreifen, und was macht Jane? Sie kämpft gegen eine Entscheidung der Behörden in ihrem eigenen Dorf – nicht einmal innerhalb der Schule –, die ihr falsch erscheint. Okay, es geht um etwas, das Sie als Atheist und Berufsskeptiker vermutlich niemals verstehen werden. Und ja, sie ist nicht gerade taktvoll und diplomatisch, und sie tanzt den Leuten auf der Nase herum. Aber wenn Sie damit zum Schulbeirat gehen – von dem manche Mitglieder auch noch Bezirksratsmitglieder sind –, dann wende ich mich augenblicklich an die überregionale Presse und sorge dafür, dass jeder erfährt, was für ein aufgeblasener, selbstgerechter, eigennütziger, karrieregeiler Heuchler Sie sind.»
    Damit beendete Merrily das Gespräch und warf das Handy auf den Beifahrersitz.
    Sie zitterte. Der Schweiß auf ihrer Stirn wurde kalt. Dann schnallte sie sich an und fuhr zum Parkplatz der Kirche. Einen Moment lang starrte sie bewegungslos an der Kirche vorbei auf das Pfarrhaus.
    Es waren nicht mehr viele Leute übrig, die sie sich zum Feind machen konnte.
     
    Spicer reagierte nicht auf Merrilys Klingeln. Sie trat einen Schritt zurück und ließ ihren Blick über die Fenster gleiten. Nichts.
    Sie ging um das Haus herum und hämmerte an die Hintertür. Keine Reaktion.
    Zurück im Auto, wählte sie die Nummer von Rajab Ali Khans Büro in Kidderminster.
    «Wenn Sie Mrs. Watkins sind», sagte eine Frau, «dann bittet mich Mr. Khan, Ihnen auszurichten, dass er den restlichen Tag im
Royal Oak
ist. Er sagte, wenn Sie die Zeit erübrigen können, würde er gern dort mit Ihnen sprechen.»

38 Kommunale Demokratie
    Jane hatte Redmarley D’Abitot auf der Generalstabskarte gefunden und es mit einem Stift eingekreist.
    «Das ist ja interessant. Sieh dir das mal an …»
    «Moment.»
    Lol spähte am Vorhang vorbei auf die Straße. Es waren viele Touristen unterwegs. Nur dass unter diesen Touristen ein paar Presseleute waren, die nach Jane suchten und ihr Bild aus dem
Guardian
kannten.
    Dann beugte er sich mit Jane über die Landkarte. Redmarley lag auf der anderen Seite der Autobahn knapp hinter der Grenze von Gloucestershire und genau südlich der Malverns.
    «Ich weiß, dass ich zurzeit von Leys besessen bin», sagte Jane. «Aber das hier sieht wirklich nach einer aus. Sie verläuft von Redmarley aus durch die drei Countys und durch die gesamte Länge der Malverns. Siehst du?»
    Jane hatte die Linie eingezeichnet. Sie verband weniger historische Stätten als Hügelspitzen miteinander. Lol zählte fünf: Midsummer Hill, Hangman’s Hill, Pinnacle Hill, Perseverance Hill, North Hill.
    «Und hier …»
    Sie hatte auch