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Ein dunkler Ort

Ein dunkler Ort

Titel: Ein dunkler Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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erzählt. Ob der in der Post verloren gegangen ist? Aber seitdem habe ich noch zwei Mal geschrieben und ihn in beiden Briefen erwähnt.
    Sie wendete das Blatt und überflog die nächsten Absätze, da klopfte es leise an ihrer Tür. »Komm rein«, rief Kit, die dachte, es sei Sandy. Überrascht stellte sie aber fest, dass es Ruth Crowder war.
    »Hoffentlich stör ich dich nicht.« Ruth blieb zögernd in der Tür stehen. »Wenn du gerade beim Lernen bist …«
    »Bin ich nicht«, sagte Kit. »Ich lese nur meine Post.«
    »Dann möchte ich dir was zeigen.« Ruth kam herein und schloss die Tür sorgfältig hinter sich. »Das hier nämlich.«
    Sie hielt ihr ein Blatt Papier hin. Mit einem Blick sah Kit, dass es die grobe Skizze eines Gesichts war, eine krakelige, kindliche Zeichnung wie aus der Malstunde der Grundschule.
    »Was ist das?«, fragte sie. »Ist das mit der Post gekommen? Dein kleiner Bruder oder deine Schwester …«
    »Nein«, sagte Ruth. »Das ist ein Porträt von mir. Lynda hat es gemacht. Das ist das Bild, das sie bei diesem Spiel gemalt hat, von dem sie erzählt hat.«
    »Das hat Lynda gezeichnet?« Kit griff nach dem Blatt und legte es vor sich aufs Bett. Ruth stellte sich neben sie und gemeinsam betrachteten sie die Zeichnung. Ein rundes, ungeformtes Gesicht. Eine Dreiecksnase. Ein Mund, der an eine Halloweenmaske erinnerte. Ein Gewirr schwarzer Haare.
    »Das mit den Haaren hat sie hingekriegt«, sagte Ruth. »Die sind schwarz. Offen gestanden kann ich sonst keine Ähnlichkeiten feststellen. Ich weiß ja, dass ich keine Schönheitskönigin bin, aber sogar ich hab Augen, die in eine Richtung gucken können. Und sie hat vergessen, mir Ohren zu malen.«
    »Versteh ich nicht«, sagte Kit. »Wir wissen, dass Lynda zeichnen kann. Das Porträt, das sie von mir gemacht hat, war irre.«
    »Das war ein einmaliger Ausrutscher«, sagte Ruth unbeeindruckt. »Lynda kann nicht zeichnen. Lynda hat überhaupt kein Talent, für gar nichts. Sie ist hübsch und nett, aber an dem Tag, an dem das Hirn verteilt wurde, war Lynda gerade zum Mittagessen weg.«
    Aus Ruths Mund hatte diese Feststellung überhaupt nichts Grausames, sie war einfach nur sachlich.
    »Setz dich«, sagte Kit langsam. »Ich glaube, wir beide müssen reden.«
    Ruth nickte. Sie setzte sich auf die Bettkante. Ihre breiten, starken Hände lagen verkrampft auf ihrem Schoß.
    »Irgendwas läuft hier«, sagte sie leise. »Ich weiß es, aber ich hab keine Ahnung, was genau es ist. Hast du auch das Gefühl?«
    »Ja«, sagte Kit, »und Sandy geht es genauso.«
    »Lynda nicht. Lynda merkt nichts. In vielem ist sie wie ein kleines Kind.«
    »Du solltest mir vielleicht was über sie erzählen«, sagte Kit. »Und über dich. Ihr beiden scheint so gute Freundinnen zu sein, aber ihr seid so unterschiedlich. Deinem IQ fehlt ja nichts.«
    »Der liegt bei 150«, sagte Ruth mit Stolz. »Ich hatte von Anfang an die Nase vorn. In der Grundschule habe ich zwei Klassen übersprungen, und bis zur Mittelstufe war ich schon so weit fortgeschritten, dass die Schulbücher mich nur noch gelangweilt haben. Die anderen Kinder mochten mich nicht. Wer in einer Klasse von Zwölfjährigen will schon was mit einer fetten kleinen Neunjährigen zu tun haben?
    Meine Eltern sind beide promovierte Akademiker. Bildung ist ihnen sehr wichtig, deshalb beschlossen sie, mich in eine besondere Schule in Los Angeles zu schicken, in der es keine Noten gab. Und da habe ich Lynda getroffen.«
    »Was hat sie denn da gemacht«, fragte Kit, »Wenn das eine Schule für Hochbegabte war?«
    »Na, das war es eigentlich nicht. Aber das hab ich erst festgestellt, als ich schon da war. Es war eher ›elitär‹. Ich weiß nicht, ob dir das klar ist, aber Lyndas Mutter ist Margaret Storm.«
    »Die Schauspielerin Margaret Storm?« Kit war überrascht. »Die kenne ich aus alten Filmen.«
    »Früher war sie ziemlich bekannt«, sagte Ruth. »Natürlich bleibt eine glamouröse Schauspielerin nicht für immer an der Spitze. Lynda sagt, sie dreht noch Filme, aber die Rollen sind nicht mehr so gut. Bei einem Dreh hat sie einen italienischen Schauspieler kennengelernt und es gab irgendeinen Skandal … na ja, jedenfalls lebt sie jetzt in Italien. Und deshalb war Lynda im Internat. Da hatte sie echt nichts zu suchen. Sie hat sich wahnsinnig angestrengt, aber sie kam im Unterricht einfach nicht mit. Und mit den anderen kam sie auch nicht klar. Irgendwie haben wir einander gefunden und danach war es dann für uns beide nicht

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